Kleine Vorgeschichte vom BuchmesseCon 2025
Wie jetzt? Keine NEO-Rezension? Für Wolfram Weisse mache ich eine Ausnahme. Der Abschlussband der Ansgar-Chroniken (Teil 3, Schafskälte und Tokpela folgten bereits in den letzten Jahren) wurde mir von einem zurecht stolzen Autoren auf dem BuchmesseCon in Dreieich bei Frankfurt als Hardcover überreicht. Aber eins nach dem anderen. Das Schicksal mischt die Karten und wir spielen. Zufälle gibt es nicht! Davon bin ich spätestens seit Samstag den 18. Oktober 2025 überzeugt. Denn als meine Frau und ich am Samstag Morgen in Dreieich eintrafen, parkte gleichzeitig ein weißes Auto hinter uns ein. Und wer stieg aus? Ausgerechnet ein sichtlich gut gelaunter Autor aus Südbayern. Wolfram Weisse. Leider ohne seine sympathische Gattin, die beruflich verhindert war. Mit seinem neuen Roman im Gepäck und einem fetten Grinsen im Gesicht liefen wir zielgerichtet aufeinander zu wie alte Freunde. Eine Umarmung und ein paar knappe Worte später eilten meine Frau und ich zu einem kleinen Bäcker am Veranstaltungsgelände, um uns vor dem anstrengenden Vierzehnstundentag noch mal ordentlich zu stärken. Dort wartete schon unser langjähriger Hörer und Podcast-Dauergast Jörg, nebst liebreizender Gattin, auf uns. Kurze Zeit später öffneten sich die Tore des BuchmesseCon um exakt 10 Uhr und ich machte mich als allererstes auf den Weg zum Stand von Wolfram Weisse. Dort angekommen hatten wir endlich Zeit für ein paar Fotos und eine längere Unterhaltung. Mir war direkt klar, dass ich dieses Mal unbedingt ein Hardcover abstauben muss, bevor die Meute wieder alles leergekauft haben würde. Michael Hirtzy am Stand daneben ergriff die goldene Gelegenheit beim Schopfe und konnte mich mit seiner Eloquenz problemlos davon überzeugen, gleich das nächste Buch zu erstehen. Gewusst wie! Durch schiere Reizüberflutung und der unverwechselbaren Buchmesseatmosphäre geschuldet, vergaß ich eine wichtige Sache! Auf Erkenntnis erfolgt Auslöschung. Zum Glück betraf das nicht mich und Wolfram machte eine wohlwollende Ausnahme. Denn ich war mal einfach so, ohne zu zahlen, aus der Halle geeilt, um meine traditionellen ersten 40 Seiten aus dem neuen Roman anzulesen. Ich eilte also völlig aufgewühlt zurück, mit klopfendem Herzen allerlei haltlose Entschuldigungen in meinem löchrigen Hirn sortierend. Aber Ehrenmann Weisse bremste mich lächelnd aus und meinte, ich solle mich einfach mit Freude ans Lesen machen und ihm eine ehrliche Meinung zukommen lassen. Und so kam es, wie es kommen sollte. Das Schicksal des Universums wollte es so. Oder war das alles lediglich Einbildung?

Links der Autor, in der Mitte Leser, Freund und NEO-Podcast-Gast Jörg, rechts meinereiner
Handlung in ultrakurz, um nicht zu viel zu verraten
Ansgar Weiß erwacht in einem Labor der Nepenthes Corporation. Dr. Ishida und eine Armada Medobots, in erster Linie der weibliche, humanoide Roboter Embee9, untersuchen ihn akribisch. Waren die Erlebnisse der letzten Jahre lediglich Einbildung? Konfabulation? Ist Ansgar gar eine Reinkarnation seines alten Ichs? Befindet er sich in einer Simulation, deren Programmierer ihm einen Programmcode eingepflanzt haben? Sämtliche Militärs und Geheimdienste des Planeten setzen Dr. Ishida zunehmend unter Druck und wollen ihm seinen Probanden entziehen. Doch der Forscher entschließt sich zu einem gewagten Manöver. Ansgar unterstützend, begeben sie sich schließlich gemeinsam auf eine wahnwitzige Odyssee. Gejagt von Militär und Regierung.
Meine Meinung in etwas weniger kurz und so gut wie spoilerfrei
Zuallererst ein riesiges Lob an den Titelbildkünstler Florian Jungwirth, der die Ansgar-Chroniken mit seiner äußerst ansehnlichen Arbeit optisch auf ein neues Level hebt. Die perfekte Einstimmung auf den Inhalt, mit viel Liebe zum Detail verwirklicht. Geradezu ein Ansporn für den Autor, der sich das nicht zwei mal sagen lässt. Wolfram Weisse setzt sein Erfolgskonzept aus den ersten beiden Romanen mit der Energie einer Atombombe fort. Dank einer formidablen Mischung aus Hard Science Fiction, pointierter Gesellschaftskritik und seinem unverwechselbaren Humor, dauerte es keine zwanzig Seiten und ich war einmal mehr hin und weg. An Action und Drama mangelte es im Roman ebenfalls nicht. Letzteres möchte ich zu Gunsten einer spoilerfreien Rezension mit der Nennung des innovativen Trauerbots kurz halten, der mich in Folge einer schrecklichen Tragödie zu einem eigentlich völlig unpassenden Grinsen verleitete. Stichwort Humor. Genauer gesagt müsste man von einem Schwarzen Humor sprechen, der sich wie ein roter Zeitfaden durch alle drei Teile der Ansgar-Chroniken zog. Wobei sich der spezielle Humor in Tokpela ein wenig in der Rahmenhandlung verlor, was dem Roman aber keineswegs schadete. Die irre schnellen Wechsel zwischen harten Fakten, wissenschaftlicher Weitsicht und herbe deftigen Sprüchen, die allesamt zahlreiche Zitate hervor brachten, suchen ihresgleichen unter der erbarmungslosen Buchmarktkonkurrenz. Im „Zitat des Romans“ habe ich mich auf Eines beschränkt, wobei hier Dutzende stehen könnten.
Auf dem Weg zur Eruierung der Realitäten wechselt manch Eine/r die Seiten. Die Eine überraschend, der Andere weniger. Ansgar begibt sich mit den Hopi auf eine Suche nach existentiellen Fragen des Seins. Immer begleitet von irren, wahnwitzigen und unfassbarlich kreativen Ideen, die der Autor aus seiner Quantentasche zauberte. Bis zur Romanmitte entwickelt sich ein eher seichtes Pacing, das die Leserschaft -völlig beabsichtigt- auf alle möglichen, falschen und richtigen, Spuren lenken sollte. Eine Aufarbeitung der Geschehnisse aus Band 1 und 2 stand anfangs im Mittelpunkt und wurde sehr subtil und an den exakt richtigen Stellen mit der neuen Hauptgeschichte verwoben. Der gesteigerte Wiederlesewert von „Schafskälte“ und „Tokpela“ war unter diesen Gesichtspunkten ein großes Thema für ein, auf der Buchmesse kurzerhand geplantes, neues Podcast-Projekt. Upcoming 2026.
Ansgar Weiß und Embee9, ein grundverschiedenes und doch so gut funktionierendes Mensch-KI-Team. Der Autor zeichnet ein besorgniserregendes und zugleich hoffnungsvolles Portrait einer möglichen Zukunft, die gar nicht mehr so weit in der Ferne zu liegen scheint. Wenn man bedenkt, wie weit die Robotik schon ist und wie vielen KI-Einflüssen unser tägliches Leben im Jahre 2025 bereits ausgesetzt ist, liegt einer baldigen Entwicklung solcher MediBots nur noch eine Zeit- und Geldfrage zugrunde. Innerhalb der Perry Rhodan NEO Serie existiert die sogenannte Rakkor-Grenze. Das ist der Punkt, an dem eine KI sich verselbstständigt; ein eigenes Bewusstsein entwickelt. Daran musste ich bereits nach ein paar Seiten denken. Sind die höchst kreativen Visionen von Wolfram Weisse gar seinem Weltenwechsel-Coming-Out geschuldet?!
In der Ungewissheit, weiterhin eine Runde Stellaris (bekanntes 4k-Globalstrategielspiel) mit ungewissem Ausgang zu zocken, achtete ich wie ein Adler auf die kleinste Bewegung im Buchstabensalat. Dabei fielen mir ein paar kleinere Ungereimtheiten auf, die durchaus auch Raum für ein wenig Autorenkritik ließen. Beispielsweise sollte man meinen, dass ein hochwichtiges Labor weitaus besser geschützt sein sollte, um Einflüssen von außen zu widerstehen. Gerade wenn es einen Hochsicherheitsprobanden beherbergt. In Bezug auf die Antagonisten des Romans hätte ich mir, aufgrund der politischen Brisanz, deutlich mehr Aggression und ein taktisch klügeres Vorgehen gewünscht und ehrlich gesagt auch erwartet. Im Punkt Charaktertelling ist noch etwas Luft nach oben. Manch ein Nebendarsteller wurde häufiger namentlich genannt und hatte auch seinen Kurzauftritt, blieb aber meistens seelenlos. Da ich auch hier spoilerfrei bleiben möchte, verzichte ich auf genauere Details. Ein paar Seiten mehr hätten dem Roman, hinsichtlich einer feineren Charakterentwicklung, gut getan. Das ist ganz klar jammern auf hohem Niveau. Störend wirkte keiner der Punkte im Romankontext, da an anderen Stellen dermaßen die Post abging, dass man genug damit beschäftigt war, das Erzählte langfristig in seinen 1,5 Kilo Gehirn auf zwei Beinen unterzubringen.
Auch wenn der Autor eher den großen Franchises Star Wars und Star Trek in seinen herzigen Reminiszenzen huldigte, so erfassten mich dennoch einige unverwechselbare Vibes in Richtung Perry Rhodan. Dieser fiel in seiner bald 65-jährigen Historie oftmals damit auf, verschiedene Raumschiffe aller Größen und Formen für das terranische Allgemeinwohl gekapert zu haben. Wer diesen fulminanten Abschluss der Chroniken gelesen hat, weiß diese Zeilen richtig einzuordnen. Wolfram Weisse geizt ganz allgemein nicht mit Zitaten und Anekdoten aus der Film- und Fernsehgeschichte. Viel Spaß beim Suchen und Finden! Was ich in diesem Zusammenhang ein wenig vermisst habe, sind Reminiszenzen an fiktive Ereignisse, die sich in der jüngeren Romanhandlungsvergangenheit sicherlich auch zuhauf hätten finden lassen. Ich glaube kaum, dass der moderne Mensch oder Roboter zitierfähige Blockbuster aus musikalischen und cineastischen Meilensteinen der 2020er bis 2050er ausgelassen hätte. Sei es durch Videokonserven im Holostream oder Retro-Bewegungen der aktuellen Gegenwart, irgendetwas erwähnenswertes fällt innerhalb von dreißig Handlungsjahren sicherlich an. Embee9 ist in dieser Hinsicht das Paradebeispiel.
Interessant finde ich die weitergedachte Verbindung zwischen Mensch und Maschine. Wie entwickelt sich denn unser Gefühlsleben, wenn einem, beispielsweise im Krankenhaus, ein lernfähiger MedoBot mit der Optik der eigenen Traumfrau aufwartet? Dann sprechen wir nicht mehr von „der Roboter“ oder „das Ding“. Die Automaten bekommen ihre eigene Persönlichkeit und es entwickelt sich möglicherweise künftig eine eigene Kontaktbörse. Captain Capspace ist übrigens nicht mein Favorit lieber Wolfram. Alle lautstarken Dialoge IN GROSSBUCHSTABEN BETONT WIEDERZUGEBEN, das muss nicht sein. Zumal die indireke Rede meist auch noch dahinter folgte. Mein persönlicher Lesekomfort litt etwas unter dieser Großschreibweise und gerade in den letzten beiden Kapiteln störte es mich immens. Wäre vielleicht ein klitzekleiner Verbesserungsvorschlag für den neuen Roman, der schon in der Mache ist und auf den ich mich natürlich sehr freue.
Abschließend möchte ich noch ein paar Worte zum Highlight und Kernstück des Romans verlieren. Die astrein gelungene und bombastisch inszenierte Verflechtung der verschiedenen Daseins-Stufen… ich drücke mich absichtlich wage aus…. verlangte höchste Konzentration. Bei zwei Gläsern Wein sollte man nicht einsteigen, wenn man umfassend am Ball bleiben möchte. Das wissenschaftlich toll recherchierte Grundgerüst der Geschichte verlangt auch der Leserschaft einiges ab. Der geistige Aufwand lohnt sich aber. Zwischen den Zeilen steht mehr geschrieben, als auf gut 400 Seiten jemals gepasst hätte. Und das ist auch gut so. Anspruch und Wirklichkeit korrelieren hier wohltuend miteinander. That, my buddy, is the Ultimate truth!

Zitat des Romans
Ich wäre gerne wie Iron Man, bin aber eher wie Biene Majas harmloser Freund Willi
Ansgar Weiß weiß sich richtig einzuordnen
Ein stellvertretendes Beispiel für den feinen Humor, der immer wieder, angenehm portioniert, im Romanverlauf aufploppte. Der in Tokpela schmerzlich vermisste Schwarze Humor fand übrigens ebenfalls wieder vermehrt Einzug, was mich sehr begeisterte.
Fazit und Wertung
Bereits auf dem BuchmesseCon ereilte mich ein erster Kommentar unter meinem Social Media Post, den ich kurze Zeit zuvor im Park abgesetzt hatte. Dieser hatte nur überschwängliches Lob für die nun abgeschlossene Trilogie übrig. Mit dem Antrieb im Rücken, mir meine eigene Meinung zu bilden, flogen die Seiten nur so dahin. Insofern ich mich noch recht daran erinnere. Vermutlich fand das alles genau so statt. Wolfram Weisse drehte mit der anfänglichen Nepenthes-Handlung alles bisher Gelesene auf links. Und setzte, mit einem heftigen Plottwist bereits im Auftaktkapitel, eine erste kräftige Duftmarke. Wie bei einem guten Parfüm üblich, blieb die Wirkung bis zum Zuklappen dieses phänomenalen Abschlussbandes bestehen. Einige kleinere Ärgernisse habe ich bereits im Meinungsteil ausführlich behandelt. Luft nach oben muss aber immer sein, um Perfektion erlangen zu können. Nicht nur für künftige KIs und QIs. Mit der Kraft einer nachwirkende Kreativbombe setzt Wolfram Weisse die Messlatte für künftige Autoren ziemlich hoch. All jene, die sich nicht nur an Schema F orientieren, sondern Mut und Risiko eingehen wollen, etwas völlig Neues auf Zelluloid zu bannen, können sich von dieser Trilogie inspirieren lassen. Ich kann hier nicht nur eine klare Leseempfehlung aussprechen, sondern behaupte auch, dass das Gesamtwerk einen Platz in jedem gut sortierten Buchregal finden muss! Zukunftsvision geht genau so! Hochgradig unterhaltsam und wissenschaftlich verständlich, gleichzeitig ernsthaft und humorvoll. Pointiert gesellschaftskritisch und visionär, reich an unvergesslichen Zitaten und sorgsam durchdacht von Anfang bis zum grandiosen Ende. Mit zahlreichen Uff-Momenten verewigt sich Wolfram Weisse dauerhaft in meinem Herzen. Ganz sicher. Konfabulation ausgeschlossen! Es passiert so, wie es passieren soll. Fünf von fünf Preise der Phantastik verschicke ich hiermit hochverdient an den Ammersee.
