Handlung
Ihre Flucht führt Perry und seine Gruppe nach Olymp, wo ihnen die Siganesin Brada eine Weiterreisemöglichkeit in die Heimat der Hamamesch organisiert. Ausgerechnet die MAGELLAN parkt unterirdisch in einem großen Asteroiden namens Thermophylae, wo auch bereits ein Walzenraumer der Mehandor havariert ist. Beim erkunden der Walze finden sie ein Geisterschiff vor und suchen nach Antworten auf den Verbleib der Besatzung. Diese finden sie schließlich in einem verbarrikadierten Bunker, wo die verängstigten Mehandor über die Gefahren auf dem Gesteinsbrocken aufklären. Um die MAGELLAN hat sich im Laufe der Zeit ein Götterkult gebildet, deren geistige Jünger die MAGELLAN als Leviathan verehrt. Mit Ankunft der terranischen Flüchtlinge erwachen die Maschinen des Fernraumschiffs zum Leben, weil es Reg mit seiner Authorisierung zeitgleich gelingt, Zutritt zur MAGELLAN zu erlangen. Ausgehend von einer Fehlfunktion der Bordintelligenz DIDEROT spukt es an Bord des Schiffs, in Form von geheimnisvollen Stimmen und düsteren Trugbildern. Die Merkwürdigkeiten verschwinden nach einer Wartung und damit auch die Angstzustände der Mehandor. Nachdem Perry ihre Gäste zur Hilfe beim Start der MAGELLAN überreden konnte, werden die Spukaktivitäten wieder stärker und führen zu Todesfällen unter den Mehandor. Neue Erkenntnisse deuten auf eine Herkunft aus dem Positronikkern des Riesenraumers hin. Dort kommt es zum Endkampf mit dem Geist aus der Maschine, wobei Eidolon einschreitet und die Entourage rettet. Es gelingt, die MAGELLAN erfolgreich ins All zu manövrieren, wo sie ins Arkonsystem aufbricht, um eine Mannschaft für das Riesenschiff zu rekrutieren und vor ihren Verfolgern in Deckung zu gehen.
Meinung
Auch wenn man sich über die Darstellung von Gucky durchaus streiten kann, bin ich doch sehr angetan von seiner entschlossenen Körperhaltung und optischen Umsetzung. Aveline Celestaris gefiel mir schon auf dem Cover zum Staffelauftakt ganz hervorragend. Und so ist es auch diese Woche wieder. Seite an Seite mit Gucky lehrt sie die Gegner das Fürchten. Zweiter Roman der neuen Staffel. Zweites Topcover! Erneut mit einem gestalterisch ansprechenden Hintergrund, der meine bevorzugte Farbpalette trägt. Darf gerne so weiter gehen. Rüdiger Schäfers Versprechen, dass Altlasten kein Thema mehr für die weitere Handlung sein würden, ließ mich mit Rückenwind ins Lesevergnügen starten.
Und da musste ich, nach wenigen Minuten bereits, das erste mal grinsend die Augen verdrehen. Ruben schickte Atlan mitsamt Entourage erstmal ins Kedäliumwettbüro. Von da aus gehts direkt ab ins Brizzelgras. Wo jugendliche Etrionen nach einem Stromschlagritual zu Erwachsenen werden. Oh man Ruben, ernsthaft!? Ich mags ja, wenn er seine Schrulligkeit gnadenlos stur, Roman für Roman, zur Schau stellt. Okrill Watson hätte sicherlich auch seinen Spaß im Gras gehabt. Mit der Siganesin Brada hat der Autor zudem ein wunderbar kantiges Original erschaffen. Ihre Schlappgosche (loses Mundwerk, die Redaktion) passt herrlich zu Atlan, der sie ja auch als einen seiner ältesten Kontakte preist. Wundert mich nicht, dass die beiden gut miteinander können. Viel mehr verwundert mich, dass fast alle Reisegefährten die potentielle Zeitbombe Aveline Celestaris relativ achtlos mitschleifen, ohne dass größere Bedenken im Team aufkommen. Ich selbst jedenfalls würde sie keine Sekunde unbeobachtet lassen und hätte Perry meine Befürchtungen offen mitgeteilt. Lediglich Gucky hegt ein größeres Interesse an der mit Abstand interessantesten Figur der kompletten Mannschaft. Und die beiden können offensichtlich sehr gut miteinander. Das Figurenspiel war für mich bereits nach den Auftaktkapiteln auf Höchstlevel und ich hatte deshalb ganz schnell Bock auf Ruben! Ähm, der Spruch ist geklaut und entspringt nicht meinen wolllüstigen Gedanken 😉
Positiv ins Auge stach mir die strikt lineare Erzählweise, derer sich der Autor bediente. Nach Rüdiger Schäfers chaotisch-chronologischem Staffelauftakt, lief mir die vorliegende Geschichte dadurch viel flüssiger, und um einiges entspannter, ins Oberstübchen. Und überhaupt, erzeugte Ruben Wickenhäuser eine klaustrophobisch ultradichte Horroratmosphäre an Bord des Geisterschiffs, die ihresgleichen sucht. Die erste Romanhälfte entschädigte für so vieles, was mir die letzten Wochen auf die Geschmacksnerven geschlagen hat. Als großer Computerspielefan gefiel mir außerdem die Jagd nach neuen Hinweisen, hier in Form von Tagebucheinträgen. Fehlte nur noch ein aufploppender Text a la „Neuer Kodexeintrag gefunden. Steuerkreuz nach unten drücken zum ansehen“. Silent Hill im Starfield-Universum, toller Erzählkniff. Zur Romanhalbzeit lag Ruben Wickenhäuser gnadenlos auf Goldkurs. Die nette kleine Hommage an Bordgespenst Tim Schablonski nahm ich mit Wohlwollen zur Kenntnis. Ebenso die augenzwinkernde Reminiszenz an den Auftaktroman zur weltweit erfolgreichen The Expanse-Serie, die mit dem Titel „Der Leviathan erwacht“ im vorliegenden Werk für einen Plottwist sorgte.
Die Ehrfurcht der Protagonisten, vor den riesigen Ausmaßen der MAGELLAN, hat der Autor ebenfalls eindrucksvoll und plastisch umschrieben. Ich konnte das erhabene Gefühl gut nachvollziehen, das vor allem in Aveline ausgelöst wurde, für die solche Dimensionen nicht alltäglich sind. Konsequenterweise hätte man den Romantitel in Plural setzen müssen. Beide Geisterschiffe lösten in mir ein unangenehmes und gleichzeitig wohliges kribbeln aus, weil ein dauerhafter Gruselfaktor beim lesen stets spürbar war. In der FERNAO beging der Autor meines Erachtens einen ziemlichen Fauxpas in Bezug auf das vorher noch so gelobte Figurenspiel. Warum Gucky sich vor der Reaktivierung der FERNAO kommentarlos von Aveline trennen ließ, ohne aufgrund seines zuvor erlangten Wissens um ihren „Gast“ und Gemütszustand Alarm zu schlagen, ist mir völlig unverständlich. Posthum gab es natürlich die erwartete Retourkutsche und Miss Celestaris fehlte ihr pelziger Beistand. Puh… da hätte der Mausbiber völlig anders reagieren müssen. Das sind kleine Feinheiten, aber ich steh halt auf nachvollziehbare Charakterhandlungen.
Es blieb glücklicherweise bei dieser kleinen Unstimmigkeit und Aveline Celestaris wurde im Laufe des Romans zur zentralen Figur der Handlung. NIcht nur aufgrund des unheimlich immersiv erzählten Albdrucks, sondern auch wegen ihrer tiefgehenden, mentalen Grübeleien, die mich nachdenklich machten. Nahezu immer an der Seite von Celestaris: Gucky. Das Team funktionierte formidabel und wer weiß, wie weit die Gruppe bei der Reaktivierung des Fernraumers gekommen wäre, wenn der Mausbiber nicht an Avelines Seite gestanden hätte. Dem depressiven Albdruck hätte sie wohl nicht sehr lange standgehalten. Nach dem typisch schrulligen Wickenhäuser-Auftakt erwartete ich natürlich noch einen weiteren Signature Move von ihm. In Form einer Mehandorabstimmung mit roten und weißen Kunststoffkapseln enttäuschte er mich nicht. Das spielerische Pendant zu den Vitaliern aus der Paragon-Staffel, wo ähnlich abgestimmt wurde. Ich bin mir sicher, jeder der diese Zeilen liest, hat das nicht vergessen. Mich wundert fast, dass Ruben Wickenhäuser den übermäßig zur Verfügung stehenden Platz auf der MAGELLAN, nicht zu einem zünftigen Kedälium-Match hergenommen hatte.
Getrieben von dem unbedingten Willen, die Gründe für das große Spukspektakel herauszufinden, verschlang ich Seite um Seite. Und merkte dabei gar nicht, wie die Zeit verflog. Ausgerechnet Eidolon also. Das Wolkenwesen rettet Perry und Konsorten vom Geist aus der Maschine. Uff. Kam völlig unerwartet und machte riesig Spaß, Kapitel 18 und Eidolons Macht in Aktion zu erleben. Nun stellen sich natürlich wieder einige Fragen. Ich belasse es bei der für mich entscheidenden. Wer oder was ist bitte Eidolon, außer uralt und mächtig?
Zitat des Romans
Dir gefällt ja nur, dass es so viele Kanonen hat!
Gucky erahnt den Ursprung von Atlans Glücksehligkeit, als die MAGELLAN erfolgreich gestartet ist
Fazit und Wertung
Neben der angenehm linearen Erzählweise gefielen mir vor allem das überwiegend tolle Figurenspiel und der unheimlich düster und bildstark aufgezogene Weltenbau. Auf beiden Geisterschiffen hatte ich stets mit heftiger Gänsehaut zu kämpfen, die durch die fest gehaltenen Gedanken der mental angeschlagenen Aveline Celestaris ihren Höhepunkt fand. Auch die Mehandorsippe hatte da ihren Anteil dran. Hochspannung satt, die romanabdeckend keinen erwähnenswerten Abbruch fand, höchstens beim reaktivieren der vielen Schiffsbereiche der MAGELLAN kurzzeitig ein wenig langatmig wurde. Ansonsten war das neueste Werk von Autor Ruben Wickenhäuser ein wahrer Psychothriller, der sich schnell zum Turnpager entwickelte und mich die Zeit vergessen ließ. Eidolon erwies sich als Retter vor dem Geist aus der Maschine und lieferte diesem einen actionreichen Endkampf. Uff. Die Leserschaft erfährt etwas über die wahre Macht von Eidolon und darf nun munter rätseln, was dessen eigentlichen Ziele sind. Ein tatkräftiger Unterstützer der Terraner wird er eher nicht sein, da sich sein Handeln auf der MAGELLAN wohl nur aus eigennützigen Motiven speiste. Für einen zweiten Roman im Staffelgeschehen war hier ordentlich Zunder dahinter und ich fühlte mich hervorragend abgeholt, will wissen, was die Beweggründe von Eidolon und Hamamesch sind und wie das alles zusammen hängt. Und das alles an Bord der legendären MAGELLAN. Ufftata. Fünf von fünf kedäliumspielende Mehandormatriarchinnen schicke ich Ruben Wickenhäuser zur Bespaßung in sein Nest.