Fahrenheit 451 — die Temperatur, bei der Bücher Feuer fangen und verbrennen. Ein Standardwerk der dystopischen Science-Fiction, das ich mir schon lange als „Must Read“ vorgenommen hatte. Schon als Teenager haben mich Dystopien in ihren Bann gezogen. Mit 16 las ich Brave New World von Aldous Huxley – mein Einstieg in die Welt der Science-Fiction. Jung, neugierig und (fast) sorgenfrei, hatte ich allerhand Kapazitäten, um mich kopfüber in diese Abgründe zu stürzen. Aber heute — angesichts von Klimakrise, politischer Radikalisierung und Krieg — wirkt der Gedanke, auch noch Dystopien zu lesen, zunächst fast zynisch. Am Schluss war die Neugier aber stärker. Nicht zuletzt, weil mir das Buch auf dem Garching Con in die Hände gefallen ist.

Es ist der 25.06.25, die Temperatur im Schatten beträgt 33° und mein Kopf ist eigentlich schon Matsch — dennoch greife ich zum Buch und erwarte nicht viel, schließlich ist der Roman von 1953 und in einer ganz anderen Ära geschrieben worden. Ein Kind seiner Zeit. Ich lerne den müden Guy Montag und die aufgeweckte Clarisse kennen und bin erstaunt, wie sehr ich mich in den beiden Charakteren wiederfinde. Da ist der ernüchterte Mr. Montag, der sich nach der Arbeit mit Scheuklappen durch die Straßen schleppt und einfach nur schnell nach Hause möchte. Er begegnet der neugierigen Clarisse, welche sich dem System aus „Brot & Spielen“ entzogen hat. Sie riecht das nasse Gras, sieht die funkelnden Sterne und schafft es mit den richtigen Fragen, Guy aus seiner inneren Starre zu wecken. 

Montag, in seiner Funktion als Feuerwehrmann, sorgt für Recht & Ordnung. Das Verbrennen von Büchern dient der Wahrung der sozialen Ordnung und des Friedens. Lesen ist verpönt, Buchbesitzer werden unter Strafe gestellt. Die Freizeit wird meist vor Videowänden verbracht, wo namenlose Charaktere leere Dialoge austauschen. Bis der eigene Verstand unter dem Wort- und Musikschwall völlig verstummt. Viele — insbesondere Jugendliche — fahren nachts in turbinengetriebenen Fahrzeugen mit über 150 mph durch die Stadt; dass dabei viele ums Leben kommen, wird nur im Nebensatz erwähnt. Die Gesellschaft ist in ihrer Oberflächlichkeit und Gleichgültigkeit verloren. Man schert sich nicht mehr um seine Mitmenschen. Ja, Guy und seine Frau haben mittlerweile sogar vergessen, wie und wo sie sich damals kennengelernt hatten. Während ihr das auch weiterhin völlig egal ist, regt sich in Guy Unmut über seinen Zustand in dieser Apathie. 

Mehr über den Inhalt möchte ich an dieser Stelle nicht verraten. Es sei nur gesagt, dass sich die Welt der brennenden Bücher für mich alles andere als verstaubt angefühlt hat. Die detaillierte Beschreibung der Gesellschaft, die Argumente, welche Bradburys Weltenbau zugrunde liegen und vor allem das vielfältige Gefühlsleben des Guy Montag, haben mich durch diesen Roman durchrauschen lassen. Diese Dystopie hat auf mich ihre ganz eigene morbide Faszination ausgeübt. Ich hadere, was mich mehr bewegt hat: die durch Medien völlig abgestumpfte, ja fast schon debile Ehefrau? Die völlig perspektivlosen, sich zu Tode rasenden Jugendlichen? Der nahende Krieg, der niemanden aus der Ruhe zu bringen scheint? Oder doch das Einzelschicksal des Guy Montag, der zwar aus der indoktrinierten Lethargie erwacht ist, aber niemanden findet, der ihm zuhört? 

Am Ende sind es all diese Punkte zusammen, die dieses Buch für mich so besonders machen. Trotz des stolzen Alters von 72 Jahren hat die Thematik heute womöglich mehr Relevanz als zur Zeit der Veröffentlichung.  Apropos Alter: Natürlich würde man diese Geschichte heute anders erzählen bzw. den Spannungsbogen anders aufbauen. Es finden weder Nebenhandlungen noch Perspektivwechsel statt. Die Sprache ist teilweise ein bisschen sperrig — man ist heute in der Regel ein flüssigeres Lesen gewöhnt. Dennoch sind es gerade diese kantigen Formulierungen und holpernden Gedankenschnipsel, die dem Buch wiederum eine eindringliche und ganz eigene Atmosphäre verleihen. Das Schicksal dieser Gesellschaft und die Welt, die hier gezeichnet wurde, haben mich mehrmals eiskalt erschauern lassen.

Was damals als Warnung gedacht war, liest sich heute als Diagnose. Ein erschreckend-beeindruckendes Buch. Und eine klare Leseempfehlung. 

Metadaten des Buches
Titel: Fahrenheit 451
Autor: Ray Bradbury
Umfang: ca. 230 Seiten (je nach Ausgabe)
Erschienen: 1953
ISBN (Print, deutsch): 978-3453319837
ISBN (eBook, deutsch): 978-3257607499

„Was liest du, wenn die Welt brennt?“ Review: Fahrenheit 451 — Ray Bradbury

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