Die Klimakrise und ihre literarische Diskussion war das übergeordnete Thema bei der mittlerweile fünften Ausgabe von „Hinterm Mond“ im ostfriesischen Leer. Norbert Fiks lud am 3. Oktober 2025 wie gehabt in den Kulturspeicher und etwa vier Dutzend BesucherInnen folgten seinem Ruf.
Bereits am Vorabend konnte man in gemütlicher Runde ein wenig fachsimpeln und den Spuren des ostfriesischen SF-Fandoms folgen. Ausweislich der Ausgabe 10 von 1980 des »Perry Rhodan Magazins«, das Norbert dabeihatte, existierte damals ein PR-Fanclub quasi um die Ecke. In diesem wurzelte auch das Fanzine »Golem«, das beeindruckenderweise bis 2015 existierte. Auch davon waren einige Exemplare zu bestaunen.

Die eigentliche Veranstaltung wird mittlerweile ein wenig zum Klassentreffen. Sie ist offenbar bei etlichen Leuten fest im Kalender notiert. Das wundert wenig, denn Norbert Fiks gelingt es regelmäßig, interessante Vortragende zu engagieren. Unzuverlässiger Zugverkehr hätte das Lineup beinahe durcheinandergewirbelt. Aber am Ende fanden sich dann doch alle Beteiligten wohlbehalten auf der Bühne wieder.

Den Anfang machten Frankie und Yvonne Tunnat. Zu Yvonne muss man eigentlich nicht viele Worte verlieren, denn wer sich mit der deutschen SF beschäftigt, kommt kaum an ihr vorbei. Sie ist als Autorin, Herausgeberin und – mittlerweile weniger – als Rezensionistin aktiv. Ihre Tochter Frankie ist zehn Jahre alt und fühlte sich in der Bühnenluft merklich wohl.
Sie trugen ihre Geschichte mit verteilten Rollen und jeweils passend zur Perspektivfigur vor. In der Story geht es um eine Mutter, die ihr Kind aus der Betreuung abholen muss, weil ihre Lebensgefährtin krank beim Arzt ist, weswegen sie auch das Säuglingskind mitnehmen muss. Zu allem Überfluss ist auch Kai noch nicht abgeholt worden und komplettiert somit das Quartett im Auto. Sie geraten in einen Stau, der durch unbesetzte selbstfahrende Autos vollends zum Stehen kommt, während gleichzeitig eine Überflutung der Straße droht.
Der Vortrag der beiden ist sehr unterhaltsam. Sie lesen jeweils die Abschnitte aus der Perspektive von Mutter und Tochter und besonders in den Dialogen läuft Frankie zu Höchstform auf. Trotz des humorigen Tons der Geschichte weist die hintergründige Gefahr durch Wetterereignisse auf eine Zukunft hin, mit der wir uns mit den Folgen des Klimawandels arrangieren müssen. Die Verquickung mit dem Alltag der Protagonistinnen ließ mich latent gruseln.

Pia Marie Hegmann las aus ihrer Kurzgeschichte »Zwei Grad«, erschienen in der Anthologie »Klimazukünfte 2050«. Die Geschichte erzählt von einer alleinerziehenden Mutter, die sich mit ihren beiden Töchtern in einer Welt durchschlagen muss, die von den Folgen des Klimawandels geprägt ist. Dieses höchst dystopische Szenario hat mich vor allem wegen der beiden Mädchen nachdenklich gestimmt. Die Teenager-Tochter weist erste Spuren von Radikalisierung auf und die Kleine ist so jung, dass sie die Zusammenhänge noch nicht versteht. Und dennoch wird man ihr eines Tages erklären müssen, wieso die Dinge so sind, wie sie sind. Keine schöne Vorstellung für Eltern.
Während die Gesellschaft sich mit hohen Lebensmittelpreisen und dem Handling der Klimageflüchteten herumplagen muss, leben einige wenige Reiche auf einer Insel der Glückseligkeit – eben weil sie es können. Dazu gehört auch der Bruder der Protagonistin, dem es offensichtlich nicht in den Sinn kommt, seine Nichten zu unterstützen.
Als die Erderwärmung offiziell die Zwei Grad-Grenze erreicht, richtet sich die schwelende Wut gegen die Geldigen.

In der Pause konnte man sich ein wenig von den dystopischen Gedanken erholen, bevor Bettina Wurche einem die Klimakatastrophe links und rechts um die Ohren schlug. Die Biologin, Bloggerin und Star Trek-Fanin führte dem Publikum eindrücklich vor Augen, was uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten bevorsteht – und was wir bereits jetzt erleben.
Denn wir befinden uns bereits in der Klimakrise und die phantastische Literatur kann uns dabei helfen, das Problem in Worte zu fassen und darüber zu sprechen. Die Phantastik hat all das bereits durchgespielt und eine Vielzahl von AutorInnen hat sich damit beschäftigt. Bekannt sind natürlich Margaret Atwood, Ursula Le Guin und Kim Stanley Robinson, aber es gibt noch so viel mehr.
Dabei konstatierte Wurche: Dystopien lähmen. Sie will hin zu positiver Literatur, zum Solarpunk. Ihre Botschaft ist es, gemeinsam an grünen Technologien zu arbeiten, um jetzt noch die Folgen der Krise zumindest abzumildern.
»I fly the ship!« gab sie den Zuhörenden mit auf den Weg.

Den Abschluss machte der luxemburgische Autor Luc Francois und er bot einen kleinen Blumenstrauß an Texten an. Der Poetry Slam-Text »Turbo« beschreibt das Getriebene der heutigen Menschen, die stets das Gefühl haben, etwas zu verpassen. Alles muss gesehen, getestet und ausprobiert werden. Eine andere Geschichte beschreibt das Leben in dem fiktiven Staat Xem, der von einem bösen Firmenkonglomerat beherrscht wird. Schön werden dabei die Einflüsse der Techfirmen auf den einzelnen Menschen herausgearbeitet. Freunde der Space-SF wurden mit Stories über Weltraum-Piraten und den drohenden Weltuntergang im Jahr 2196 beglückt.

Die Veranstaltung schließt mit einer kleinen Podiumsdiskussion – moderiert von Karin Lüppen – bei der sich die Teilnehmenden der Veranstaltung nochmals auf der Bühne zusammenfinden. DIe Fragen sind vielfältig. Wie geht man mit der Krise um? Was kann man selbst tun? Würde man selbst Klimaflüchtlinge aufnehmen? Und kann Literatur – Climatefiction – etwas bewirken?
Texte werden nicht der große Hebel sein, da sind sich die Diskutanten einig. Aber Lesen hilft gegen Frustration. Und Geschichten können Ideen transportieren. Pia Marie Hegmann drückt es schön aus: Literatur kann als Vermittlungsstelle zwischen Gefühlen und Fakten wirken.

Norbert Fiks hat ein Händchen dafür, spannende Gruppen von Vortragenden zusammenzustellen. Sie präsentieren nicht nur packende und gehaltvolle Geschichten, sondern auch interessante und sympathische Persönlichkeiten. Das macht Spaß und da lohnt sich auch die Anreise.
Für mich war diese die bislang erbaulichste Ausgabe von »Hinterm Mond« und ich freue mich darauf, wenn der Kulturspeicher in zwei Jahren wieder seine Türen öffnet. Oder, Norbert? *zwinker*

Literatur als Vermittlungsstelle zwischen Gefühlen und Fakten
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