Handlung
Tako Kakuta streift gemeinsam mit Wuriu Sengu über den Markt von Chittagong in Bangladesch. Ein besonders fähiger Mutant, der Schatten Sandhya, soll hier sein Unwesen treiben. Sie treffen auf Bankim, einen Langfinger und Informationshändler. Mit viel Geld können die beiden Mutanten ein Treffen in seinem „Palast“ auf einem ausgeschlachteten Containerschiff arrangieren, der QUEEN KATE. Für eine halbe Million Taka bietet ihnen der raffgierige Gauner Informationen über Sandhya an, rechnet aber nicht damit, dass Wuriu Sengu mit seiner Gabe bereits alles Wissenswerte abspeichern konnte. Über den zwielichtigen Leiter einer christlichen Missionsstation, Bruder Andreas, können sie mit etwas Überzeugungsarbeit Kontakt zu Sandhya herstellen. Sandhya wird von einem komplett hohl drehenden Tako Kakuta zu einer Vorführung seiner Mutantenkräfte gezwungen. Erschrocken über sich selbst, flieht er in die Einsamkeit. Als er wieder klar im Kopf ist, sucht Tako verzweifelt nach seinem Freund Wuriu und dem Jungmutanten, die wie vom Erdboden verschluckt sind. Tako Kakuta reist im Schnellsprungflugverfahren zurück nach Terrania und überzeugt Ariane Colas davon, ihn mit ihrer Begabung auf der Spurensuche zu unterstützen. Vor Ort erfahren sie von Bankims Tod und Ariane nimmt die Witterung erfolgreich auf, da sie Wuriu Sengu bei ihrem letzten Stelldichein mit einem speziellen Duft markiert hatte. Tako bemerkt am nächsten Morgen, dass sie ausspioniert werden und verhört einen überführten Lakaien des Free State of Chittagong-Anführers Gnao. Im Tausch für seine Freiheit überbringt der Kleinganove eine Botschaft des Mutanten. Beim vorherigen Schlagabtausch konnte Tako einen Infrarotmarker am Kinn des Kriminellen anbringen, dessen Signal die beiden zum riesigen Wrack der ALL URE OF THE SEAS führt. Dort empfängt sie niemand geringeres als der berüchtigte Warlord André Noir, Schatten und Anführer der Gnaos, auf seinem Thron aus Müll. Tako Kakuta ist er besser bekannt als Bruder Andreas von der christlichen Wohlfahrtsmission, der seine scheinheilige Tarnung endgültig fallen gelassen hat. Nach der Führung durch den renaturierten Teil des Kreuzfahrtschiffes, kontert André Noir den Angriff von Tako Kakuta mit seinen eigenen Mutantengaben. Er besitzt die gefährliche Fähigkeit, als Changeur andere Menschen aus Paralleluniveren nach Belieben auszutauschen. Tako erhält den Auftrag, Perry Rhodan davor zu warnen, Bangladesch in seine Pläne mit einzubinden. Der von André Noir betäubte Wuriu Sengu wird den beiden Terranern überlassen
Die 16jährige Sue Mirafiore hilft im Terrania Central Hospital mit ihren Fähigkeiten als Metabio-Gruppiererin und erstellt Vorabdiagnosen bei schwer kranken Patienten. Dabei begeht sie Raubbau an ihrem eigenen Körper und schläft nicht, was den Aramediker Fulkar zu einer Beschwerde bei John Marshall zwingt. Dieser nimmt sich der Teenagerin an und gibt ihr die neue Aufgabe, eine wirksame Behandlung für Quiniu Soptor zu erforschen. Nach ihrer Reise durch die Zeit ist die Halbarkonidin apathisch und lebt in ihrer ganz eigenen Welt, in die Sue nach und nach tiefer eindringen kann. Sie befolgt die Anweisung von John Marshall und führt die Arkonidin über das Gelände des Lakeside Institutes, macht aber auch einen unerlaubten Abstecher ins Terrania Central, wo sie mit Fulkar aneinander gerät. Dieser gibt ihr die ärztliche Anweisung, sich auszuruhen und sich vom Krankenhaus fern zu halten. Währenddessen sucht Novaal John Marshall auf und übergibt ihm den Tarkanchar von Grek-691, den der Maahk von dem Toten auf Rayold I an sich genommen hatte. Aufgrund der jahrelangen Feindschaft zwischen Maahks und Arkoniden, möchte Novaal anonym bleiben und den Bewusstseinsrekorder mit der psychisch kranken Quiniu in Kontakt treten lassen. Unter Anwesenheit von Fulkar übergibt Marshall den Tarkanchar an Quiniu Soptor. Der Kristall überhitzt und explodiert. Das Dreiergespann wird von Sue Mirafiore blutüberströmt aufgefunden und dank ihrer Mithilfe überleben alle den mysteriösen Zwischenfall, wenn auch schwer verletzt und in den medizinischen Heilschlaf versetzt. Zurück in ihrem gemeinsamen Appartement findet Sue einen Abschiedsbrief von Sid Gonzalez, der sich vernachlässigt gefühlt hat und künftig seine eigenen Wege gehen will.
Meinung
Game of Thrones für Arme. Der König der Schatten sitzt auf seinem Schrottthron und sinniert über die Zukunft. Der anfliegende Servierbot alias Tutgut bringt den Kaffee für den König, ein Bild voller Sarkasmus und Selbstironie. Ist es doch ausgerechnet der Leiter einer Wohlfahrtsmission, der alle Fäden in der Hand hat in Chittagong. Im Hintergrund die ALL URE OF THE SEAS, verblasst wie ihr einst so großer Stolz. Hier passt einfach alles zusammen. Ein herrliches Cover! So wunderbar treffend wie die folgenden Ausführungen des Autors Michael Marcus Thurner.
MIt einer satten Portion schwarzem Humor geht es über den Markt der Armen und Vergessenen, die vom großen Aufbruch zu den Sternen nur aus Nachrichten und Erzählungen wissen. Und deren Träume meist einen pechschwarzen Anstrich haben. Denn Hoffnung ist ein Wort, das in Chittagong nicht existiert. Die dystopische Grundstimmung schlug mit voller Kraft bei mir ein, die schiere Ausweglosigkeit der Menschen auf den Straßen und Gassen nagte schwer am Gemüt. Der kleine Junge Rabindranath ist dabei die beispielgebende Figur und Höhepunkt der schieren Verzweiflung, als er sich wahlweise selbst oder einen seiner Brüder und Schwestern zur Prostitution anbietet. Das Pädophilenparadies Chittagong. Die Atmosphäre war zum Schneiden dicht. In einem einzigen Kapitel schuf der Autor somit eine perfekte Momentaufnahme der Erde im Jahre 2037. Licht und Schatten. Terrania und Ostblock. Die künftig wenig positive Entwicklung zwischen Terranischer Union und dem asiatischen Konglomerat/Chinesischer Block (vorerst zumindest, ab NEO 299+ zeichnet sich eine endgültige Einigung ab) wurde höchst eindrücklich geschildert. Der Romanauftakt ging tief unter die Haut und mir saß bereits nach zwei Kapiteln ein dicker Kloß im Hals, ganz ohne Pointe!
Der Haupthandlungsabschnitt spielt weiter im fernen Osten, aber es gibt auch Neuigkeiten aus dem Lakeside Institut. Nicht nur, dass es zwischen John Marshall und Tatjana Michalowna mehr als nur bitzelt, sondern auch, dass Teenagerin Sud im Ara Fulkar einen Fan zu haben scheint. Die typische Arroganz des Elitearztes kann nicht über seine Begeisterung für Sue hinweg täuschen, die fast schon väterliche Züge annimmt. Und das nächste Techtelmechtel wartet gleich hinter der ramponierten Hoteltür. Tako Kakuta und Ariane Colas sind für mich das Traumduo des Romans. Ich musste einen der tollen Wortwechsel in den Zitaten des Romans verewigen. Richtig. Zitaten! Michael Marcus Thurner liefert schon in der Erstauflage der Perry-Rhodan-Serie regelmäßig genug Dialogfutter für Enthusiasten wie mich. Bei NEO zeigte er diese Fähigkeit schon Anno 2012 und es fiel mir deshalb nicht schwer, mich pudelwohl beim Lesen zu fühlen. Trotz der starken Kontraste. Trotz der emotionalen Achterbahnfahrt, bedingt durch die schnellen Wechsel zwischen humorvollen und schockierenden Passagen. Erstklassige Schreibarbeit!
Eine wahre Wucht stellte für mich die Enthüllung des wahrhaften Bösewichts dar, der ausgerechnet der Leiter einer christlichen Wohlfahrtsmission ist. Purer Zynismus? Nicht nur, aber auch. In erster Linie allerdings ein völlig berechtigter, wenn auch fiktiver Seitenhieb auf die pädophilen Verstrickungen der katholischen Kirche in den letzten Jahrzehnten. So wie zahlreichen Priestern auch, gelang es Bruder Andreas höchst erfolgreich, sich hinter seinem scheinheiligen Mantel der Nächstenliebe zu verstecken. Um ein Imperium aufzubauen, das allumfassendes Leid produziert. Ich jedenfalls hatte den Missionsleiter nicht als den führenden Bösewicht auf dem Schirm. Diese überraschende Wendung ist MMT überaus gut gelungen. Auch hier klingt wieder die allgegenwärtige Gesellschaftskritik durch, da André Noir über Jahre hinweg und völlig ungestört, ein riesiges Imperium aufbauen konnte. Trau niemals dem Schein! Sagt André Noir auf Seite 129 selbst. Passend dazu firmiert das Wrack der ALL URE OF THE SEAS unter der Flagge des Kreuzfahrers. Und auf Seite 130 heißt es: Der Zweck heiligt die Mittel. Wo wir doch wieder beim Zynismus angelangt wären…
Zwischengedanken auf Seite 130: Ein toller Roman! Aber…ähm, wo bitte reiht sich dieser in die Staffelhandlung ein? Schon bezeichnend, dass mich dieser Einschub erst im letzten Romanviertel erreichte. Spricht für die nervenaufreibende Nebenhandlung, die mich voll in ihren Bann gezogen hat. Nur hat die Frage auch ihre Berechtigung. Und ich musste nicht lange grübeln, um zum Schluss zu kommen, dass Michael Marcus Thurner vorrangig die Aufgabe hatte, Mutantenfähigkeiten und politische Strukturen im nahen Osten aufzuzeigen. Und natürlich einen neuen, fiesen Gegenspieler von Perry Rhodan, in Stellung zu bringen. Dass Grek-691 -tatsächlich kann ich mir die Zahl sehr gut merken- noch Bewandtnis hat, finde ich sehr cool. Der Tarkanchar fiel Novaal bereits vor einigen Heften in die Hände und ich stellte mir seitdem mehrfach die Frage, wozu der Kristall explizit Erwähnung fand. Tadaaa! NEO-üblich kommt irgendwann doch noch die Antwort. Staffelübergreifend auch mal deutlich verzögert. Aber in diesem Fall war ich angetan von der verschleppten Erklärung.
Zum goldenen Abschluss gab es noch eine hochinteressante Frage. Gestellt vom großen Bösewicht höchstselbst: Wie kamen Mutanten eigentlich zu ihren Fähigkeiten? Wurden sie von einer höheren Macht in Stellung gebracht? Als Werkzeuge missbraucht und ausgenutzt? Oder ist das alles purer Zufall, dass ausgerechnet mit Perry Rhodans Erscheinen auf galaktischer Bühne, diese Fähigkeiten in manchen Menschen erwacht sind? Erstmals wird die Herkunft der Mutantengaben in Frage gestellt. Und vorläufig von Tako Kakuta als Verschwörungstheorie abgetan. André Noir aber hat erreicht, was er bezweckte. Die Saat des Zweifels ist gesät. Es bleibt spannend. Natürlich auch bei der Frage um den Verbleib von Sid, der sich vernachlässigt fühlt und -ähnlich wie Sue- pubertäre Verhaltensweisen zeigt und das Wegfliegen als Lösung bevorzugt. John Marshall hat’s nicht leicht. Vom Waisenhaus zum Irrenhaus in zwei Jahren. Armer Tropf!
Zitate des Romans
Partielle Impotenz ist eine Spätfolge meines Sechssechssechs-Parfums für böse Buben!
ariane colas stinkt zum himmel, für den guten zweck
Einer der Stimmungsaufheller in einer doch sehr düsteren Atmosphäre, in die uns Autor Michael Marcus Thurner entführt. Seite 103 im Roman übrigens, wer diesen wunderbaren Absatz nachlesen möchte, bei dem sich nicht nur die Geruchsnerven kringeln.
Gib den Leuten ihren Glauben an eine bessere Welt zurück – und sie wird entstehen!
Optimist und visionär tako kakuta
NEO hat durchaus Potential für Postkartensprüche. Die Unterhaltung zwischen den beiden Mutanten Wuriu Sengu und Tako Kakuta befindet sich direkt am Romananfang. Und musste als zweites Zitat unbedingt noch in meine Romanbesprechung. Ein Wohlfühlspruch für schlechte Tage, der im Gossendreck des Elendsviertels unangepasst erscheint. Allerdings im Kontext der weiteren politischen Entwicklungen seine Daseinsberechtigung erhält.
Fazit und Wertung
Gesellschaftskritisch, dystopisch und mit reichlich schwarzem Humor durchzogen, liefert Michael Marcus Thurner seinen dritten und für lange Zeit letzten NEO ab. Dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund und schildert die ausweglose Situation der Menschen, im asiatischen Teil der Welt, auf höchst ungeschönte Art und Weise. Mich hat der Roman emotional stark gefordert, vor allem der Spaziergang der beiden Mutanten zu Beginn kostete mich einiges an Contenance. Unfassbar guter Weltenbau, der an der katholischen Kirche kein gutes Haar lässt und vor Zynismus nur so strotzt. Staffelübergreifend wird die Frage nach der Bewandtnis des Tarkanchar geklärt, was mir gefallen hat. Auch wenn mit André Noir ein neuer Antagonist in Stellung gebracht wird, ist zumindest kein entscheidender Handlungsfortschritt ersichtlich. Wer dies aber zum Anlass nimmt, harsche Kritik zu üben, muss sich auch die Frage gefallen lassen, ob die wunderbar dichte Atmosphäre und die emotionale Achterbahnfahrt nicht Entschädigung genug für dieses offenkundige Versäumnis sind. Um Sid nicht -schon wieder- zu vergessen! Kann mal wer die arme Sue Mirafiore in den Arm nehmen? Ich litt förmlich mit ihr. Mein unorthodoxer Daumen reckt sich kerzengerade in den Himmel über Chittagong. Wie schon angesprochen, gönnt sich MMT eine längere NEO-Pause. Nach diesem Roman hat mir das Herz geblutet. Gerne hätte ich sofort mehr von ihm gelesen, ein wunderbarer NEO!