Handlung

Die PERLENTAUCHER steht im Jahre 2112 vor einem Sperrschirm, der das Sonnensystems bereits seit Monaten komplett abschottet. Santo Okal entwickelt einen waghalsigen Plan, um Perry Rhodan mit einer Dragonfly II durch die Barriere zu bringen, was unter Schwierigkeiten gelingt. Dort wird er nicht mit allen Ehren empfangen, sondern mit vorgehaltener Waffe. Zusätzlich bekommt Perry eine Aufpasserin an die Seite gestellt, die ihm die Akklimatisierung in Terrania angenehmer gestalten soll. Er nutzt die erstbeste Gelegenheit zur Flucht aus seiner Gefangenschaft. Keine Sekunde zu früh, denn der Gleiter wird abgeschossen und der Verantwortliche verletzt Perry schwer. Frater Ignatius verfrachtet Perry Rhodan ins Hospital der Brüder der Barmherzigkeit, wo dieser ihm erzählt, dass der Verschlusszustand des SOL-Systems seit mittlerweile 82 Jahren anhält und die Zeitabläufe in Nähe des Sperrschirms gestört sind. Der Mönch berichtet dem vorgeblich amnesierten Perry anschließend, was im Sonnenystem zwischenzeitlich passiert ist: Reginald Bull und Stella Michelsen wurden aus ihren Ämtern gefegt, woraufhin der Ex-Protektor die Organisation Guter Nachbar (OGN) gegründet hatte, die Menschen helfen soll. Die neuen Regierungs-Licht(er) handeln nach der reinen Vernunft und Immune wehren sich gegen die Zwangsherrschaft, worauf die politisch Verantwortlichen in den Untergrund flüchten. Als Bruder Ignatius die wahre Identität Perry Rhodans erfährt, wirft er den falschen Propheten aus dem Lazarett. Rhodan kann den Franziskaner davon überzeugen, dass er sich nicht als den neuen Messias sieht, sondern allgemeinnützig und demütig agieren möchte. Frater Ignatius vermittelt ihm einen Kontakt zu dem aphilischen Hehler Maicon, der kaltblütig Unschuldige opfern will, um einen Hilfstrupp der OGN anzulocken. Perry gelingt es, eine der beiden Bomben zu entschärfen und die restlichen Bewohner zu evakuieren, bevor die zweite Bombe alles in Schutt und Asche legt. Einen angreifenden Wachroboter schaltet Perry mit dem Zünder der zweiten Bombe aus und trifft in einem Geheimversteck schließlich auf seinen Freund Reginald Bull, den Anführer der Organisation Guter Nachbar.

Sergio Percellar übernimmt von seinem Vater die Leitung einer Kupfermine auf Borneo. Seine Jugendliebe hatte ihn Jahre zuvor schmerzlich hintergangen, woraufhin der gesundheitlich schwer gezeichnete Percellar sich an ihr rächt, nachdem Mawar einen Streik am Mineneingang angezettelt hatte. Einziger Kunde der Mine ist das Hohe Amt des Friedens in Terrania und der Beamte Zugar stattet dem Großgrundbesitzer einen Besuch ab, weil er von Lieferschwierigkeiten Wind bekommen hatte. Als Percellar seiner alten Liebe einen Besuch in ihrer Zelle abstattet, verriegelt Zugar die Zellentüren, enteignet ihn und nimmt die Mine für die Aphiliker in Besitz. Der Aphiliker hat die Rechnung ohne das Exoskelett von Percellar gemacht, mit dessen Hilfe der Ausbruch gelingt. Gemeinsam mit den Eltern retten sich die Flüchtenden in ein vermeintlich sicheres Versteck, wo die Mutter ihren Sohn mit einem Trick in Sicherheit schickt. Bei seiner Rückkehr findet er die verkohlten Überreste seiner Eltern, die vom wütenden Mob verbrannt wurden. In seinem ehemaligen Klassenkameraden Ismael findet er rasch den Mörder, der ihm seine Gründe erläutert und zum nachdenken bringt, da die Patienten seines eigenen Arztes nie von ihrer angeblichen Behandlung in New York zurück gekehrt sind. Mit neuem Lebensinhalt begibt er sich auf die Suche nach der Wahrheit und sucht in New York das Unternehmen Pharamond und die Behandlungsräume von Dr. Worthington auf. Der Wachmann John Norris stellt ihn, lässt sich aber schnell von Percellars Zielen überzeugen, da er selbst zur OGN gehört. Die beiden decken den Betrugsskandal auf, der Pharamond Unsummen bescheren sollte. Sergio Percellar dreht den Spieß um, stellt das Heilmittelrezept gegen die Infektion ins Mesh und macht es damit der ganzen Welt zugänglich. Mit fünf Kindern und dem Medikament Inveraton an Bord, fliegen die beiden in einem gestohlenen Gleiter zurück nach Borneo. Unmittelbar nach ihrer Ankunft wird das Anwesen von Percellar durch Gleiter von Pharamond beschossen, da sie Mitwisser aus dem Weg schaffen wollen, zu denen auch Zugar zählt. Sergio bietet dem per Videotelefonie zugeschalteten Beamten einen Deal an, dem dieser zustimmt. Gemeinsam können sie die Konzernangreifer besiegen und das Hohe Amt für Frieden verliert in den nächsten Monaten das Interesse an der offiziell unrentablen und verstrahlten Mine. Sergio Percellar lässt die Förderung mit verminderter Leistung wieder anlaufen und verspricht, die Gewinne künftig fair unter den Arbeitern zu verteilen. Mawar steht ihm bei diesem Vorhaben zur Seite.

Meinung

Ungewohnt. Klar, das große “APHILIE” bestimmt das Bild und der Schriftzug “Perry Rhodan NEO” verkommt zum Laiendarsteller. Ähnelt optisch ein wenig den auffälligen englischen NEO-Ausgaben. Dass die Bandnummer nicht mehr ersichtlich oben rechts zu finden ist, finde ich allerdings schon störend. Das Titelbild mit der Freiheitsstatue und dem Sperrschirm dagegen ist zweifellos erste Sahne. Ich konnte mich sinnbildlich kaum satt sehen am Cover, das voll meinen Geschmack getroffen hat. Nun denn, die Staffel der außergewöhnlichen Gentlemen und Ladies wird von Kai Hirdt eröffnet, der sich auch für das Exposé verantwortlich zeichnet. Als Gast lediglich, da er sich künftig auch noch um eine gewisse Miniserie kümmern darf. Lasst uns diese ganz spezielle Staffel also einfach gemeinsam genießen, ich freu mich riesig drauf!

Kai Hirdt gelang es direkt, mit seiner düsteren Umschreibung des Sonnensystems, meine vollste Aufmerksamkeit zu generieren. Die Sonne wurde als perfekte Kugel mit einer abgrundtiefen Schwärze beschrieben und das SOL-System lag unter einem Sperrschirm, in dessen Nähe Lebewesen und Materialien einem heftigen Alterungsprozess unterlagen. Gänsehaut nach zwei Minuten lesen. Einen Roman kann man durchaus so beginnen. Ich hatte jedenfalls gleich heftige Interstellar-Vibes. Der Alterungsprozess in der Nähe des Sperrschirms ähnelt nämlich der Umgebung von Gargantua, wo die Erkundung eines Wasserplaneten im Film zu einer katastrophalen Zeitdilatation führt und den Wissenschaftler Romilly Jahrzehnte seines Lebens kostet. Aber gleich weiter im Text. Seid ihr Duck Tales Fans? Percellars Butler Hudson hob eine Augenbraue, wie nur er es konnte. Oder halt natürlich sein Pendant in Entenhausen. Butler Johann aus den Lustigen Taschenbüchern, der mich durch meine Jugend begleitet hat und von da an mein ganz persönliches Beispiel für “einen Stock im Arsch haben” verkörperte. Die Stockente im schwarzen Loch. In diesem Fall galt allerdings: Der Butler war’s! Ganz ohne Pistole. Nach nicht mal dreißig Seiten war ich schon schwer angetan. Aber das wars noch lange nicht am Ereignishorizont!

Man konnte schon nach einigen wenigen Seiten herauslesen, dass Kai Hirdt richtig Bock aufs NEO-Exposé hat. Perry Rhodan bringt in Terrania einen Gleiter zum Absturz, dessen Pilot überaus dilettantisch reagiert hatte. Die Reaktionen von Robotern und nicht vorhandenen Rettungskräften lassen Perry tiefengeschockt zurück. Die wunderbar bildhaften Schilderungen des Autors damit auch mich. Emotionentransport -> Check. Überragender Weltenbau -> Check. Überzeugende Charakterdarstellung von Perry und Percellar -> Check. Letztgenannter ist ein Minenbesitzer aus Borneo, der nach gescheiterter Beziehung einen radikalen Lebenswandel vollzieht und das Geschäft seines Vaters übernimmt. Ausgerechnet die Ex landet mit ihm schließlich im Bau, nicht in der Kiste! Nach dem Drama um das Ableben von Percellars Eltern, entwickelt dieser einen unbändigen Drang, den Verantwortlichen für das Verschwinden von zahlreichen Kindern aus Borneo zu finden und zu stellen. Wow, die Nebencharakter-Geschichten waren bisher eigentlich schleifer’sches Terrain, doch Kai Hirdt gräbt ihm da ordentlich Wasser ab. Oder Kupfer, um im Kontext zu bleiben. Ein Drittel des Romans war damit erst gelesen und ich befürchte, das hier geht in die Verlängerung, Freunde der zünftigen Perryliteratur!

82 Jahre! ZWEIUNDACHTZIG! Mein größter Albtraum wäre es, meine eigenen Kinder zu überleben. Damit stehe ich nicht alleine. Nun steht aber Perry vor dem Schuttplatz seines Lebens und arbeitet auf, wer und was ihm noch verblieben ist. Lediglich Zellaktivatorträger und seine entkörperlichte Tochter Nathalie können diesen Zeitraum überlebt haben. Theoretisch zumindest. Ein emotionaler Höhepunkt des Romans, zweifellos eine Horrorvorstellung. Was mich ein wenig verwundert ist die Tatsache, dass sich Perry keine Gedanken darüber macht, wie sich der Faktor Zeit verhält, wenn er den Sperrschirm in die Gegenrichtung verlässt. Eventuell der gegenteilige Effekt? Dass er letztlich nur ein paar Minuten, Stunden oder Tage verloren hat, wenn er den Spieß umdreht und eine Fluchtoption nach draußen findet. Aber Perry wäre nicht Perry, wenn er deswegen in Agonie versinken würde.

Gesellschaftskritik und eine moderne Erzählweise gehören zu NEO dazu wie der Gouda auf die Nutella. [Anmerkung des Korrektorats: GOUDA auf DEM Nutella? Wir müssen nochmal über deine Ernährungsgewohnheiten sprechen…] Kai Hirdt setzt die Handlung des Aphilie-Auftaktromans wunderbar in den Kontext des aktuellen Weltgeschehens. Ein Arzt, der Moskitos dazu benutzt, um einen selbstentwickelten Krankheitserreger in den Körper unzähliger hilfloser Kinder (!) zu pumpen, um dann mit einem wiederum selbstentwickelten Medikament “behilflich” zu sein und sich am Unglück anderer zu bereichern?! Das ist pure Aphilie! Die Reichen werden immer reicher und der Rest muss irgendwie klar kommen und zudem noch Unsummen für die Heilung berappen. Gilt ebenso für die Stummhäuser, die mich frappierend ans Nazi-Regime erinnerten. Damals wurden Kranke und Behinderte verbrannt, allerdings genauso “entsorgt” wie unter den Aphilikern. Und wie sich die aktuelle Politik entwickelt, sind die Parallelen in die Wirklichkeit schockierend. Das verursacht beim Leser den gewünschten Effekt. Eine abgrundtiefe Abneigung gegen die Aphiliker und ihre Schergen. Sehr guter erzählerischer Kniff!

Wieviel Erstauflage (EA) steckt eigentlich in der NEO-Aphilie? Hier mal ein paar Beispiele, nach den ersten Eindrücken aus dem Auftaktroman. Nun… Eine gewisse Ähnlichkeit ist erwartungsgemäß da. Auf der EA-Seite reden die Aphiliker von der reinen Logik, in NEO befinden wir uns in den Jahren der reinen Vernunft. Die Sonne Medaillon existiert offenbar nur in der EA, die NEOristas behalten die gute alte SOL, allerdings verpackt in eine abgrundtief schwarze Hülle (schon wieder Gänsehaut…). In der EA hält Reginald Bull kurzzeitig das höchste Regierungsamt als Licht der Vernunft, in NEO führt er vom Start weg die Nichtregierungsorganisation OGN (Organisation Guter Nachbar) an. Dies wiederum ist in der EA die Aufgabe von Roi Danton, der dieses Amt aus Naupaum’schen Gründen in NEO nicht bekleidet. Noch nicht zumindest, irgendwas schreit in mir nach einer Rückkehr des Revoluzzers der Herzen. Sergio Percellar ist auch im Cast, sein Elternhaus befindet sich auf Borneo (NEO), wo im Serienvergleich anfangs die Zentrale der OGN liegt (EA). Frater Ignatius dagegen ist eine reine NEO-Neuschöpfung. Das waren erstmal nur ein paar Eckpunkte. Ich bin gespannt, welche altbekannten Personen und Schauplätze uns noch begeistern werden. Und welche Antagonisten ins NEOversum transferiert werden.

Zitat des Romans

Hallo Jerome. Wie geht es dir?

frater ignatius pflegt einseitige konversation

Warum ist diese unspektakuläre Floskel mein Zitat des Romans? Sie steht für das ganze Dilemma der Aphilie und brachte mich zum Nachdenken. Wie motivieren sich Hilfskräfte, wenn ihnen niemals ein Dankeschön entgegen schallt? Mit welchem Antrieb schaffen es die Gefühlskranken, Tag für Tag aufzustehen und immer wieder weiter zu machen? Ich stelle es mir unglaublich schwer vor, wenn so gar nichts zurück kommt. Weder Dank noch Anerkennung. Noch nicht mal geklatscht wird. Und umsonst ist die Hilfe ja auch. Oder lediglich kostenlos? 😉

Fazit und Wertung

Dystopische Gesellschaftskritik mit einem zappendusteren Weltenbau, dessen zwei Handlungsstränge mich beide gleichermaßen begeistern konnten. Kai Hirdt legt los wie die Feuerwehr und setzt die riesigen Erwartungen an sein Gast-Exposé tadellos um. Experimente an Kindern erzeugen natürlich sofort den gewünschten Effekt und generieren bei den LeserInnen eine abgrundtiefe Abneigung gegen die Aphiliker. Gilt natürlich gleichermaßen für die Stummhäuser, die an die Krankenmorde im Dritten Reich erinnern. Auch wenn hier keine Verbrennungsöfen zum Einsatz kommen, werden alte Menschen auf unmenschliche Weise “entsorgt”. Emotional harter Tobak. Das kleine Finale und Wiedertreffen mit Reginald Bull hatte ich nach wenigen Seiten bereits als Schlusspunkt favorisiert. Es war allerdings, trotz aller Vorhersehbarkeit, ein Moment, der mich berührt hat. Ein Nebeneffekt ist natürlich auch nicht zu vernachlässigen, der damit einher geht, dass die Wartezeit bis zum nächsten NEO schier unerträglich werden wird und hoffentlich auch bisher skeptische Leser:innen davon überzeugt, dass NEO äußerst lesenswert ist. Den frischen Wind im Exposé spürt man jedenfalls sofort und die Umsetzung der Aphilie-Thematik im NEOversum gefällt mir bisher ausgesprochen gut. Mein empfindlicher Daumen kennt nur eine Richtung, the sky is the limit. Ich möchte mir ja eigentlich gelegentliche Superlative ersparen, aber das war schon wieder einer der besten NEOs, die ich je gelesen habe. Nach Rüdiger Schäfer bereits der zweite in Folge. Die Staffel könnte legendär werden. Eines ist zumindest nach Roman Numero Uno Fakt und ich kann voller Inbrunst sagen: Sensationelles Comeback Herr Hirdt!!

Review: Perry Rhodan NEO 310 – Welt ohne Liebe
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