Die Con- und Veranstaltungssaison der Phantastik beginnt zumeist im Frühjahr und zieht sich bis hinein in den Dezember. Man kann quasi ganz Deutschland bereisen, indem man an jedem Wochenende einen anderen Veranstaltungsort besucht.
Ganz weit oben im Norden hat sich in den letzten Jahren klammheimlich eine Veranstaltung etabliert, die dem Fan spannende Science Fiction in Form einer Lesung präsentiert. Unter dem Titel »Hinterm Mond« präsentierte Norbert Fiks am 07. Oktober 2023 im ostfriesischen Leer den bereits vierten »Tag der Science-Fiction-Literatur in Ostfriesland«. In den bisherigen drei Ausgaben gaben sich bekannte Namen der deutschen SF-Szene ihr Stelldichein – und das sollte auch in diesem Jahr nicht anders sein. Mit Aiki Mira, Jol Rosenberg und Thorsten Küper standen klangvolle Namen auf der Gästeliste. Komplettiert wurde das Line-Up durch Gerhard Wiechmann, seines Zeichens Militärhistoriker.

Der Vorcon

Eine kleine Gruppe traf sich bereits am Freitagabend zum Vorcon bei leckerem Essen und Trinken. Fannische Themen herrschten dabei natürlich vor. Norbert Fiks berichtete über die Anfänge von »Hinterm Mond«, das er ursprünglich nur veranstaltet hatte, weil er für Lesungen nicht immer in die nächste Großstadt reisen wollte. Die Lösung ist so simpel wie genial: Wenn der Besucher nicht zur Lesung will, muss eben die Lesung zu ihm nach Hause kommen. Eine von Norberts vermutlich besseren Ideen hat damit einen geradezu egoistischen Ursprung. *zwinker* Es wurde über AutorInnen und ihre Werke diskutiert, die nächsten Con-Besuche wurden erörtert und die eigene fannische Vergangenheit beleuchtet. Bemerkenswerterweise reichte die bei einigen Teilnehmern der Runde gar nicht so weit zurück. Aber man war sich einig, dass man schnell viele nette Menschen kennenlernen kann, wenn man die heimische Couch verlässt und sich ein wenig in der Szene umsieht.
Die harte Realität kam auch nicht zu kurz: So manch einer war überrascht, dass sich auch im beschaulichen Leer gar schauerliche Kriminalfälle ereignen. Und skurrilerweise offenbarte sich für mehreren Anwesende Ostwestfalen als gemeinsamer biographischer Berührungspunkt – allerdings nur bedingt in der zeitlichen Dimension.

Der Con

Die Tür, die HInter den Mond führt. [Foto: Markus Regler]

Der Kulturspeicher in Leer ist ein ehemaliger Hafenspeicher, der für Veranstaltungen wie Konzerte, Vorträge, Kabarett und eben Lesungen genutzt wird. Ein absolut passendes Ambiente für »Hinterm Mond«. Etwa 60 Zuhördende fanden sich am Samstag Nachmittag dort ein und betrachtet man die Publikumsentwicklung der letzten Jahre, dürfte das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht sein. Der Kulturspeicher bietet in jedem Fall noch Platz für weiteren Zulauf. Im Erdgeschoss befindet sich praktischerweise ein Café, so dass die Versorgung mit kühlen Getränken, Kaffee und Kuchen gesichert ist.

Norbert Fiks eröffnete die Veranstaltung mit einem kurzen Rückblick auf die früheren Ausgaben von »Hinterm Mond« und freute sich sichtlich über die vielen Gäste. Er stellte die Vortragenden ausführlich vor, während selbige wahlweise dem Boden oder dem Dachgebälk ihre Aufmerksamkeit schenkten.

v.l.n.r.: Thorsten Küper, Gerhard Wiechmann, Jol Rosenberg, Aiki Mira [Foto: Markus Regler]

Den Anfang machte Aiki Mira und trug aus ihren drei Romanen »Titans Kinder«, »Neongrau« und (ganz frisch erschienen) »Neurobiest« vor. Bemerkenswert ist dabei die angenehme Vorlesestimme, die sehr gut an die jeweilige Handlung angepasst ist. Da macht das zuhören Spaß!
Die Geschichten offenbaren drei ganz unterschiedliche Welten, die aber lose miteinander verknüpft sind, wie die anschließende Fragerunde offenbarte. Wohin es nach den Schauplätzen Titan, Hamburg und Berlin in Aikis viertem Werk gehen wird, wurde nicht verraten. Dafür erfuhren die Zuschauenden kleine, spannende Details aus der Schreibarbeit.

Reichsflugscheiben sind ein Mythos, der es in gewisser Regelmäßigkeit in die Schlagzeilen schafft und Gerhard Wiechmann hat sich ausführlichst mit dem jahrzehntealten Narrativ einer Nazi-Wunderwaffe beschäftigt. Beginnend nach dem Zweiten Weltkrieg, tauchen diese deutschen Ufos bis in die Gegenwart hinein immer wieder in den Medien auf. Wiechmann analysierte die Entstehung dieser modernen Legende in unterhaltsamer Weise und mit profundem Wissen. Dabei offenbart sich eine Geschichte über Hirngespinste, Technikleugnung und Größenwahn, die nichtsdestotrotz eine gewisse Faszination ausstrahlt. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen hat Wiechmann 2022 in seinem Buch »Von der deutschen Flugscheibe zum Nazi-UFO« veröffentlicht (Link).

In der Pause bot sich die Gelegenheit die Getränke- und Essensvorräte aufzufüllen. Der Büchertisch war gut besucht und am Ende erfreulicherweise sehr viel leerer als zu Beginn der Veranstaltung.

Danach war die Phase der Soloauftritte vorbei. Ab sofort wurde szenisch gelesen, was aber nochmals für Verzögerung sorgte. Jol Rosenberg saß schon startbereit auf der Bühne, aber Lesepartner Thorsten Küper war noch nicht zugegen. Nachdem er unter dem Applaus der Anwesenden seinen Platz eingenommen hatte, konnte es losgehen. Der erste Leseabschnitt stammte aus Rosenbergs Debut-Roman »Das Geflecht«, der auf dem Planeten Rusal spielt. Ganz anders das Szenario in »Etomi«, einem zweibändigen Werk, dessen erster Band im Herbst 2023 erscheint, Teil zwei folgt im Frühjahr 2024. Diese Geschichte hat ihren Schauplatz auf einer postapokalyptischen Erde, wo Menschen in Kuppelstädten leben. Da es nur wenige Fragen aus dem Publikum gab, wurde die Lesung kurzentschlossen fortgesetzt. Auch Rosenbergs Lesestimme finde ich hervorragend, ich möchte fast sagen: entspannend. Ich hätte noch stundenlang zuhören können.

Zum Abschluss trug Thorsten Küper aus seiner Kurzgeschichte »Sie werden alle sterben« vor, die in der Anthologie »German Kaiju – verDAMNt!« erschienen ist. Jol Rosenberg blieb gleich sitzen und Aiki Mira gesellte sich dazu, so dass nun alle drei Vorlesende in Aktion waren.
Küpers Vorlesestil und Geschichte waren gewohnt launig, das Publikum amüsierte sich glänzend über das an klassische japanische Monsterfilme angelehnte Szenario. Ein Monster wälzt sich durch Deutschland und einige Leute halten es für einen Fake der Regierung und bringen sich damit selbst in Gefahr. Bezüge zu unserer Realität sind natürlich nicht zufällig…
Mira und Rosenberg boten tolle Interpretationen ihrer Sprechrollen und spontan wurde auch Norbert Fiks in den Vortrag eingebunden. Szenische Lesungen sind toll! Meiner Ansicht nach gewinnt fast jede Story dadurch.

Viel zu schnell ging der »4. Tag der Science-Fiction-Literatur in Ostfriesland« vorüber, aber noch war er nicht zu Ende. Lesende, Veranstalter und ein Teil der Zuhörenden ließen den Abend in einer nahen Lokalität bei weiteren spannenden Gesprächen ausklingen.

Man kann nur ein positives Fazit zu dieser gelungenen Veranstaltung ziehen. Eine absolut passende Lokalität, nahbare Vorlesende und eine makellose Organisation machen »Hinterm Mond« zu einem kleinen Highlight im phantastischen Veranstaltungskalender. Mittlerweile ist das Event etabliert, wie das ansteigende Publikumsinteresse und die im Publikum anwesenden bekannten Namen der SF-Szene belegen. Norbert Fiks macht da einen tollen Job und nicht nur ich hoffe darauf, dass »Hinterm Mond« auch eine fünfte Auflage erlebt.

Daher alle zusammen: Norbert, GO FOR IT!

Von Reichsflugscheiben und Neurobiestern.
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2 Gedanken zu „Von Reichsflugscheiben und Neurobiestern.

  • 5. November 2023 um 10:24 Uhr
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    Ein schöner Beitrag. 😁 Freut mich, dass es dir wieder gut gefallen hat und du eine Fortsetzung firderst. Schau’n wir mal. 😎

    Antwort
    • 5. November 2023 um 10:45 Uhr
      Permalink

      Ich halte die Forderung für vollumfänglich gerechtfertigt! 😉

      Antwort

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