Handlung
Thora, Perry, Gucky und Aveline erwachen mit verschwommenen Erinnerungen auf dem Planeten Xeitrass und beobachten Roboter und Laren dabei, wie sie gefangene Wesen abführen. Die unterwürfigen Giiten agieren als Schwarmintelligenz in einem Gittermuster, das proportional zu seinen Ausmaßen und Anordnungen, das Denkvermögen des Wortführers steigert. Die Giiten sehen Laren und Terraner als Götter an. Um unerkannt in die gigantische Megalopolis Jemmenes, den Ort der Zerbrochenen, eindringen zu können, kleidet sich die Gruppe in larische Spiegelfelder. Die Larin Nargal-Ros erhält vom Oberkommando den Auftrag, die bereits enttarnten Infiltratoren zu beschatten. Gucky macht der Hypereinfluss schwer zu schaffen und zieht sich deshalb freiwillig aus der Mission zurück. Perry verschafft sich mit seinem Team Zutritt zum Singenden Turm, wo die Spiegelfelder versagen und Verteidigungsmaßnahmen greifen. Der Laren-Rebell Gelak-Tar greift ein und führt sie zu den Ausgestoßenen, den Ungesehenen, die in der Oberwelt nicht mehr erwünscht sind. Als die Larin Nargal-Ros mit ihrer Hypergabel offen angreift, können sie nur knapp entkommen. Koordinator Naruk-Kan empfängt die Gruppe in den Rebellenquartieren, am unteren Ende des Singenden Turms, wo Nathalie da Zoltral ihre Eltern mit ihrer Anwesenheit überrascht.
Im Schutz eines Hypersturms gelingt die lange geplante Flucht zum Raumhafen und die mittlerweile betagte Nathalie lässt dort die Katze aus dem Sack. Ihre Eltern erfahren vom großen kosmischen Plan und dass Perry mit seiner, den Gleichklang störenden Zeitträger-Aura, dem Konzil der Sieben ein Dorn im Auge ist. Hotrena-Taak sieht ihre Mission in Gefahr, als Eidolon unvermittelt ausbricht und ihre Truppen dezimiert. Gucky teleportiert die Gruppenmitglieder in Etappen aus der Gefahrenzone, nachdem der Sturm abgeflaut war und seine Fähigkeiten wieder funktionierten. Ein Psi-Dämpfungsfeld verhindert seine letzte Teleportation mit Aveline und beide bleiben auf Xeitrass zurück, während Perry und seine Entourage an Bord ihres gekaperten Raumers aufgerieben werden. Gelak-Tar erweist sich als der von Hotrena-Taak eingeschleuste Doppelagent und lässt Nargal-Ros die Festsetzung übernehmen, wofür er seine erhoffte Auszeichnung und Beförderung erhält.
Meinung
Gucky und Aveline entfliehen aus dem Brunnen. Nee, ernsthaft, bei Aveline musste ich direkt an The Ring denken. In dieser weltberühmten Horror-Reihe steigt bekanntlich ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren aus einem dunklen Brunnen und schaut dabei ähnlich düster wie die Protagonistin dieses Romans. Ob sie eventuell auch noch mit einem eiskalten Händchen in Verbindung gebracht werden kann, wird der Romaninhalt zeigen. Das Titelbild jedenfalls konnte mich schon mal überzeugen. Auch wenn Gucky mittlerweile, gefühlt wöchentlich, anders dargestellt wird.
Von Anfang an keine leichte Kost. Viel Namedropping. Viel Unbekanntes. Viel Verwirrendes. So weit ein typischer Zweitroman innerhalb einer Staffel. Autor Ruben Wickenhäuser mutete der Leserschaft einiges zu, doch sowohl der Weltenbau als auch die zahlreichen Volksvorstellungen fielen überraschend positiv auf. Ich konnte mir den Planeten und seine Multikulti-Spezies gedanklich gut vorstellen und verglich sie augenblicklich mit den Strukturen des Chaoporters FENERIK aus der Erstauflage. Auch wenn ich den Vergleich hiermit gleich wieder beenden möchte, waren das meine ersten Gedanken zu den Strukturen der Megalopolis Jemmenes. Denn die Laren lieben im Gegensatz zu den Chaotarchen die Ordnung, was ein paar Seiten später auch erläutert wird. Kurz vor dem Abschluss stehende Vorbereitungen einer Invasion ließen mich vermuten, dass sich das Megakonstrukt Jemmenes am Ende des Romans eventuell mit viel Tamtam von Xeitrass verabschiedet wird. Als gigantisches Raumschiff, denn Gigantismus ist ja in NEO mittlerweile Gang und Gäbe.
Erster großer Aufhorcher war der Hoffnungsschimmer um unseren Lieblingsarkoniden Atlan, da Gucky auf dem fremden Planeten eine möglicherweise arkonidische Lebensform gewittert haben könnte. Zur Spannungsförderung schwieg sich Ruben Wickenhäuser im Anschluß über diese Personalie erst einmal aus. Kurze Zeit später musste ich meine Lesesitzung erstmalig unterbrechen, als mich ein heftiges Déjà-Vu überkam. Zwei-Klassen-Gesellschaften sind in der Literatur ein regelmäßig wiederkehrendes, erzählerisches Grundgerüst. Mit Bezug auf NEO kam mir allerdings sofort das Zwottertracht-Paradoxon in den Sinn. Olaf Brills Roman aus der vergangenen Staffel ist mir gut in Erinnerung geblieben. Vincraner leben im NEO 353 in der Unterwelt, wo sich der Garten der Parusie in deren Obhut befindet. Dorthin wird die Psychode der überirdisch verstorbenen Zwotter gebracht. Weitere Ähnlichkeiten gab es allerdings nicht, denn die Laren betreiben keinerlei Symbiose mit ihren Ausgestoßenen und verwandeln sich auch nicht mehr zurück, wenn sich ihre Lebensspanne dem Ende zu neigt. Sehr interessant fand ich die Tatsache, dass der Begriff „Rebell“ unter den Laren für regierungstreue Individuen steht. In einer Art Militärdiktatur gilt nur der Erfolg als Auszeichnung, jegliche Privatsphäre und individuelle Persönlichkeitsentwicklung ist den Laren völlig fremd. Psychische Einflussnahme durch Telepathen wird dadurch von vornherein unterbunden, was die Allzweckwaffe Gucky storytechnisch entschärft. Dadurch dürfte den Laren auch jegliche Moral und Rücksichtnahme abgehen, menschlich betrachtet. Doch nicht alle sind so militärisch stramm organisiert.
Giiten gelten als lebende Hyperenergie-Batterie. Wow. Die fiese Ausnutzung dieser knuffigen Schwarmintelligenz verpasst den Laren, aus dem Stand heraus, eine höchst negative Aura. Mit Absicht, wie ich vermute. Die Perrypedia ergab keinen Treffer zu diesem bemitleidenswerten Völkchen, also kann ich nur den Hut vor dem Erfindungsreichtum des Autors ziehen. Der Weltenbau gefiel mir zur Romanmitte hin noch besser als bereits schon zu Beginn. Ruben Wickenhäuser zeigte einmal mehr seine enormen Fähigkeiten bei der Entwicklung neuer Spezies für das NEOversum. Sein Panel auf dem 12. Garching-Con 2023 blieb mir in positiver Erinnerung, da er den gut besuchten Programmpunkt „Mit Aliens in der Science Fiction arbeiten“ mit großer Leidenschaft bediente. Mit den Giiten als großes Hilfsvolk der Laren und nun auch der Terraner, übertrumpfte sich der Autor jedenfalls einmal mehr selbst.
Zweiter großer Aufhorcher war selbstverständlich die Erwähnung Nathalies. Der Kriegsrat der Laren kennt ihren Aufenthaltsort und ihre immense Bedeutung für das übergeordnete Ganze. War es Nathalie, die Gucky geespert hatte? Der Verdacht liegt nahe. Wäre schade. Der alte Haudegen Atlan wäre mir um einiges lieber als dieses nervige „Ich-komm-mal-wieder-zum-Staffelfinale-vorbei“-Püppchen. Doch zu früh gefreut. Im letzten Heftdrittel wird die Befürchtung zur Gewissheit. Unerwartet kam das zwar nicht, aber dass ausgerechnet die Rebellenquartiere zum erneuten Wiedersehen der da Zoltrals werden würden, hätte ich nicht vermutet. Der Arkonidenprinz lässt also weiter auf sich warten. Oder wird er gar ausnahmsweise zum „Ich-komm-zum-Staffelfinale-vorbei-und-hol-den-Schlüsselbund-raus“- Held? Wäre mal eine willkommene Abwechslung! (Anmerkung der Redaktion: Anspielung auf eine Sondersendung des Radio Freies Ertrus)
Aller schlechten Dinge sind… genau! Sieben! Oder eigentlich nur noch sechs, um genau zu sein. Das Konzil der „Sieben“, da braucht die Milchstraße echt kosmische Unterstützung, wenn sie nicht untergehen will. Also doch kein Gigantismus in Form eines riesigen Raumers. Dafür gleich ein halbes Dutzend, potentiell unbesiegbare, Gegner. Und nur die Rebellen der Laren im Rücken der Perrianer? Prost Mahlzeit! Wenn das mal gut geht… In Kapitel 17 wurde ich vom kosmischen Vorschlaghammer dann erschlagen. Perry ist -natürlich- der Störfaktor im großen Granulen-Becken. Das Konzil möchte ihn los haben, damit er den Gleichklang der Universen nicht mehr stören kann. Und der große Plan im Quantenmeer der kosmischen Überrangordnung sieht die Milchstraße als nächstes Opfer. Nathalie kommt nach kurzer Hypersturmpause zum Glück doch noch zu Wort und kann ausnahmsweise mal mehr von sich geben, als nur vage Andeutungen. Sehr schön! Für einen zweiten Roman war das dann doch viel mehr als man erwarten durfte. Ich hatte das Gefühl, dass Rüdiger Schäfer als Co-Autor mitgewirkt hatte. Das las sich so herrlich nach ihm. Da Ruben Wickenhäuser aber bekanntlich sehr gerne als Feuerwehrmann auftritt, wenns im NEO-Team mal wieder eng wird, könnte ich mir gut vorstellen, dass er für den Alleinexpokraten helfend eingesprungen ist.
Ach ja… die Sache mit der Rebellion und der Doppelagententätigkeit wurde zum Ende hin ein wenig hektisch. Etliche kleine Kapitelchen ganz zum Schluß bewirkten einen gewissen Erklärungseffekt, der oftmals dann auftritt, wenn einem Autor zum Ende hin die Seiten fehlen. Da fehlte mir die Balance zum Rest der gelungenen Geschichte. Schon klar: Gelak-Tar sollte in Position gebracht werden, Gucky und Aveline mussten zurück auf dem Planeten bleiben und Hotrena-Taak sollte ihren zwischenzeitlichen Triumph genießen können. Kann man aber auch eleganter gestalten. Aber auch schlechter schreiben.
Zitat des Romans
Ich glaube , die Kultur, in der du als blutrünstiges Raubtier durchgehst, muss erst noch erfunden werden!
Perry zweifelt an den Abschreckungsmöglichkeiten von Gucky
Fazit und Wertung
Ruben Wickenhäuser ist bekanntlich eine kreative Urgewalt und daher prädestiniert dafür, fremde Völker vorzustellen. Was er diese Woche einmal mehr unter Beweis stellte. Gewohnt humorvoll und feinfühlig gerieten die Dialoge, wobei ich Gucky streckenweise als ein wenig zu niedlich und einsichtig dargestellt sah. Seinen freiwilligen Missionsrückzieher kaufe ich weder dem Autor, noch seiner Figur, ab. Thoras Einspringen als Therapeutin von Aveline feierte ich dagegen, weil die ultrasympathische Arkonidin damit einmal mehr betonte, wie wichtig sie für die gesamte Serie ist. Die Giiten gefielen mir als lupenreines NEO-Völkchen ebenfalls ganz hervorragend. Unter menschlichen Moralvorstellungen betrachtet, sind mir die bedauernswerten Geschöpfe schnell ans Herz gewachsen und schürten die Wut auf das Konzil der Sieben. Kapitel 17 bleibt bei mir als klares Romanhighlight im Hinterkopf und enthielt einen massiven kosmischen Informationsknaller, der vieles erklärt, was in den letzten paar hundert Romanen aufgebaut wurde. Rüdiger Schäfer hatte kürzlich in einem Kommentar unter meiner Rezension angemerkt, dass er mit dem Abschlussband dieser Staffel einen großen kosmischen Handlungsbogen schließen möchte. Dieser Roman gibt PULSAR den nötigen Schwung mit und lässt erahnen, wie groß – hoffentlich auch artig- die alleinige Expokratur-Periode enden könnte. Ruben Wickenhäuser jedenfalls unterhielt mich, mit ganz kleinen spannungstechnischen Schwächen im zweiten Romandrittel, ganz hervorragend. Auch das Ende geriet mir etwas hektisch, weil der Autor noch ein paar Erklärungen einstreuen musste, was so semi gelang. Aber den Gesamteindruck konnte das nicht mehr trüben. Verdientermaßen landen fünf von fünf samtig weiche Kuscheltiereulen in Uhus Nest.