Die ersten Wochen im Fragmente-Zyklus sind vorüber. Bisher haben wir uns fast ausschließlich in Gruelfin bewegt und die ersten acht Romane wurden überwiegend positiv bewertet, von den wenigen ewigen Nörglern einmal abgesehen. Aber es gab auch Stimmen, die sicherlich nicht dieser Gruppe zuzurechnen sind und die mit dem neuen Zyklus nicht recht warm wurden, mit ihm fremdelten.
Natürlich ist es (wie eigentlich immer) eine Geschmacksfrage, ob den Lesenden die Geschichten gefallen, die da erzählt werden. Aber was ist so anders an diesem Start in einen neuen Handlungsbogen, dass man zunächst irritiert ist?

Zunächst sind es vielleicht die Handlung und die Handlungsträger. Nachdem sich im Vorgängerzyklus viel auf einer kosmologisch höheren Ebene abgespielt hat, und die Handlung von einem Chaoporter, einer blauen Walze, der Yodorsphäre, Quintarchen und damit normalsterblich schwer erfassbaren Umständen geprägt wurde, hat man sich offenbar entschlossen, wieder etwas »bodenständiger« zu werden. Unsere Protagonisten agieren in der unmittelbaren Konfrontation mit einem greifbaren Gegner und dieser, die Panjasen, tut sein möglichstes, um dem Lesenden möglichst verabscheuenswert zu erscheinen. Sie sind Kontrahenten, die man einfach nicht mag. Sie pressen anderen Völkern ihre verquere Schönheitsphilosophie auf und bestrafen diejenigen hart, die ihnen nicht folgen wollen. Die Internierung zur Umerziehung und damit einhergehender Brainwash erscheinen da noch die harmloseste Komponente. Körperliche Züchtigung bis hin zum induzierten Suizid zeichnen ein dunkles Bild.
Es mag also sein, dass die Liebhaber des kosmischen Sense of Wonder sich erst einmal wieder an die geerdete Handlung gewöhnen müssen.

Der Zykluseinstieg selbst ist auch ein wenig ungewöhnlich. Wir begleiten Perry nicht in einem der großen Pötte auf dem Weg in eine fremde bzw. länger nicht mehr besuchte Galaxis, wo man sich ein wenig umsieht und an der einen oder anderen Stelle mit der Gegenpartei in Scharmützel verstrickt wird.
Der große Pott ist stattdessen schon da und ruft um Hilfe und eine kleine Rettungscrew fliegt in der winzigen RA los. Dabei stellt sich heraus, dass der große Pott ganz schön auf die Mütze bekommen hat und erst einmal von ungebetenen Gästen befreit werden muss. Die Geschichte beginnt tatsächlich mitten in der Handlung und sozusagen mit einem Scheitern, das zunächst aufgeklärt werden muss. Lesende stehen plötzlich mitten in der Handlung und entdecken mit den Protagonisten eine Welt, die sich nach und nach zeigt.
Damit einher geht auch, dass man über die Milchstraße nur sehr wenig erfährt. Das liegt in der Natur der Handlung, die sich eben hauptsächlich am Rand von Gruelfin abspielt. Einige Dinge werden in 3200 angesprochen. Etwa der politische Widerstand gegen eine Reise der RAS TSCHUBAI und dass es Anschläge gegeben hat, die die Rettungsmission aber nicht verhindern konnten und auch das Schicksal der Yodorsphäre kommt kurz zur Sprache. Aber das war es eigentlich schon. Natürlich ist man neugierig, was in der Zwischenzeit seit Band 3199 noch alles passiert ist, aber da ist jetzt eben Geduld gefragt. Ich halte diese Informationen an dieser Stelle auch nicht für notwendig. SIe sind zum einen für die in den ersten Heften erzählte Geschichte nicht wichtig, zum anderen würde das erste Heft zum Infodump verkommen, wenn man noch mehr Hintergründe hineinpackte.
Aber ich kann mir vorstellen, dass es Lesende irritiert, wenn man so wenig über die heimatliche Milchstraße an die Hand bekommt. Zumal das wenige sehr viel andeutet, was das Interesse noch stärker kitzelt.

Wenden wir uns weiter dem zu, was wir in den ersten acht Heften bekommen haben. Neben vielen Atlan-, Perry,- Sichu- und Perry-Sichu-Momenten erhalten wir einen ausführlichen Einblick in die Gesellschaft der Panjasen. Von Roman zu Roman kommen mehr Details hinzu, so dass sich nach und nach ein Gesamtbild ergibt. Das beginnt bei der Charakterisierung einzelner Vertreter dieses Cappinteilvolkes und blendet dann langsam über in das Verhalten des panjasischen Staatsgebildes anderen Völkern gegenüber. Es ist ein faschistoider Apparat, der sich nicht darauf beschränkt, die Ästhetik des Einzelnen zur Grundlage gesellschaftlicher Stellung zu machen. Diesen Eindruck konnte man ganz am Anfang noch gewinnen. Nein, es ist eine stetige, wechselseitige Bewertung all dessen, was eine einzelne Person tut. Dabei geht es nicht nur um äußere Schönheit, sondern vielmehr auch um das Ausleben einer absurden Philosophie, die sich in einer gnadenlosen politischen Räson niederschlägt. Wer nicht mitmacht, hat verloren und wir umerzogen. Und das gilt sowohl für die einzelne Person, als auch für ganze Gesellschaften und Staatsgebilde, die den freundlichen »Ratschlägen« der Panjasen nicht so offen gegenüberstehen.
Dabei ist es mitnichten so, dass alle Panjasen diese Philosophie mit Haut und Haaren ausleben. Beispielhaft wird das an dem Perspektor Tryvorosch gezeigt, der seinen körperlich missgebildeten Sohn abgöttisch liebt, ihn aber doch vor der Öffentlichkeit verbirgt, um den äußeren Schein zu wahren. Auch der nach außen eiskalte Sicherheitsoffizier Kalatursch spielt heimlich die Shadava, ein Instrument, und macht daraus ein Geheimnis. Das zeigt sehr schön, dass das Individuum dem gesellschaftlichen Druck ausweicht und seinen eigenen privaten Raum erschafft, der nicht von einer Jagd nach einer positiven Prädikatierung getrieben wird.
In Summe sind die Panjasen ein Gegner, an dem man sich wunderbar reiben kann. Sie sind in ihrer Gesamtheit einfach verachtenswert und ich mag sie nicht im Geringsten. Ich ertappe mich dabei, wie ich ihnen eine ordentliche Tracht Prügel wünsche. Und dieses Gefühl hat sich im Laufe der Romane entwickelt und gesteigert. Ich glaube, das hängt auch damit zusammen, dass man dieses Völkchen über die Zeit nach und nach über acht Hefte hinweg kennenlernt und das finde ich gut!

Eine großes Rätsel stellt die Herkunft der Panjasen dar. Wie haben sie sich entwickelt? Und was hat das ES-Fragment damit zu tun? Es sieht danach aus, als ob zumindest die Vollkommenen unter den Panjasen ein Partikelchen dieses Mentalkonglomerats in sich tragen, mithin irgendwie ausgezeichnet sind. Unwillkürlich fragt man sich, was da wohl schiefgelaufen ist, da man mit ES eher guten Einfluss assoziiert. Gibt es auch negative Fragmente, die Einfluss ausüben? Oder wurde eigentlich positive Energie irgendwie pervertiert?
Und: Was ist eigentlich mit Ovaron? Der hatte ja auch mal den Titel »Ewiger Ganjo« angehängt bekommen, war aber zuletzt eher vergeistigt unterwegs. Jetzt haben wir eine »Ewige Ganja«…?
Aber das werden wir sicher alles noch herausfinden.

Bemerkenswert finde ich auch, dass sich eine etwas ungewohnte Härte in den Geschichten breit macht. Bereits im letzten Zyklus nutzte Alaska Saedelaere mehrfach ohne mit der Wimper zu zucken sein Cappinfragment, um Gegner auszuschalten. Diesmal lesen wir von ausgerissenen Extremitäten, einer Figur wird das Genick gebrochen, Umerziehungskandidaten werden gefoltert und in den Selbstmord getrieben. Selbst Perry agiert passend zu der Kampfsituation, in der er sich befindet, und tötet eine Gegnerin. Dieser härtere Stil kann auch dazu beitragen, dass man sich in der gewohnten Umgebung nicht mehr so wohl fühlt.
Und während eine Lesendenfraktion in der Vergangenheit das »weichgespülte« Agieren der Protagonisten bemängelte, konnte man nun einigen Wortmeldungen entnehmen, dass man den gewalttätigeren Szenen nur wenig bis nichts abgewinnen kann. Ich möchte mich nicht auf eine dieser Seiten schlagen, da mir einerseits der pazifistische Grundtenor der Serie wichtig ist, andererseits ich unrealistisches Verhalten in bewaffneten Auseinandersetzungen auch nicht kaufe. Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen. Es tut den Geschichten gut, wenn es auch einmal etwas deftiger zur Sache geht.

Was kommt nun auf uns zu?
Am Ende der ersten beiden Monate in den »Fragmenten« wurde die MAGELLAN zurückerobert und ihre Besatzung wieder aufgestöbert. Diese obligatorischen Arbeitspakete wurden also abgearbeitet und man kann sich nun den Hintergründen widmen.
Das Großbeiboot, die AURA, wurde in einem eigenen Roman samt Crew eingeführt, und wird auch noch ihre Pagetime bekommen.
Derzeit halten wir uns im Solsystem auf, wo uns Michael Marcus Thurner mit den sich in der Heimat anbahnenden Konflikten bekannt macht. Auch hier wird vieles angedeutet, nichts gewisses weiß man nicht, und Aufklärung ist nicht zu erwarten. Schließlich wird gleich wieder nach Morschaztas zurückgeblendet.

Also? Fazit?

Im Handlungsauftakt springt man in eine völlig neue Geschichte, die inhaltlich einen starken Kontrast zum vorangegangenen Zyklus bietet. Das fühlt sich erst einmal etwas ungewohnt an. Zudem geht es nicht gleich in die Vollen, sondern die Szenerie in Morschatztas wird sukzessive aufgefaltet. Damit einher gehen nicht sehr viele Antworten, aber dafür umso mehr Fragen. Das wiederum ist nicht ungewöhnlich für einen Zyklus-Start. Auflösungen werden kommen.
Das Erzähltempo ist etwas langsamer. Man gleitet schön in die Handlung hinein, lernt die Antagonisten richtig gut kennen und ist gespannt auf das, was noch kommen mag. Natürlich hätte man das auch kürzer machen können (und einen halben Roman voller Erklärbären weglassen), aber meiner Meinung nach nicht sehr viel kürzer, ohne einzelne Hefte zu sehr zu überladen. Und die Panjasen hätte auch nicht die Tiefe, die sie auf diese Weise erhalten haben.

Ich finde es gut, was bisher präsentiert wurde. Den Gipfel der Zufriedenheit erreiche ich aber erst, wenn ich erfahren habe, was Gucky und Iwan/Iwa Mulholland gerade so treiben. Noch so eine Frage, die im Nebensatz aufgeworfen wurde.
Mein Tipp: Sie sind in der Zerozone auf der Suche nach den Yllits/Post-Yllits.

Was haltet ihr von dem Einstieg in den Fragmente-Zyklus? Schreibt es uns gerne hier in die Kommentare oder im Discord!

8 Wochen in Morschaztas – Zyklusstart »Fragmente«
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